Harry Popow
Soldaten für den Frieden (Teil neun)
Leseprobe aus „Ausbruch aus der Stille…“ von Harry Popow
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Hier nun die neunte Leseprobe aus meinem neuen Buch »Ausbruch Aus Der Stille – Persönliche Lebensbilder in Umbruchzeiten«, das im Februar dieses Jahres auf den Markt gekommen ist. Bitte benutzt auch die Kommentarfunktion für Eure Kritiken und Einschätzungen.
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»Parade in Berlin
Abfahrt vom Oberen Bahnhof in Plauen. Schlager aus Kofferradios fast in jedem Güterwagen. Einige greifen zur Gitarre. Die Jungs sind lustig. Es geht nach Berlin. Der 1. Mai steht vor der Tür. Auf dem Marx-Engels-Platz sollen die Jungs paradieren. Sie freuen sich. Immerhin eine Abwechslung. Vielleicht wird man paar Mädchen sehen, wer weiß. Fit sind sie jedenfalls für den Vorbeimarsch. Wie haben sie sich geschunden. Abend für Abend – tagsüber ging schließlich der Schuldienst weiter – auf dem Exerzierplatz: Gewehrgriffe gekloppt, den Exerzierschritt geübt, erst einzeln, dann in Rotten, dann in ganzen Marschblöcken. Acht geschlagene Wochen lang. Gegen Mittag treffen die Schüler in Berlin-Stahnsdorf ein. Hier, in einer alten Kaserne werden sie schlafen und essen. Am Abend vier Stunden Fahrt mit Kraftfahrzeugen der NVA um das südliche Berlin herum zum Marx-Engels-Platz. Kräftiges Essen aus der Feldküche auf dem Hof des Finanzministeriums. Mitternacht wird es empfindlich kühl, doch die nächtliche Probe hält einen warm. Deutlich sieht man die erleuchtete Uhr vom Rathaus. Die Uhr geht auf Mitternacht zu. Man wird müde.
Früh 7 Uhr waren die Paradeleute wieder in Stahnsdorf, dem Ort, der für ihn und Cleo einst das erste gemeinsame Zuhause sein wird. Aber davon kann Henry nichts ahnen, er hat wie immer ein Auge für das herrliche Frühlingsgrün, für die wunderschön weiß blühenden Obstbäume. Er schreibt: „Als wir gestern die Stalinallee entlang fuhren – überall Lichterglanz, Reklame, sich küssende Pärchen, viele Spaziergänger. Alles ist sehr amüsamt. Ich spüre, daß das Leben noch mehr zu bieten hat als das Armeeleben. Manchmal muß man dies schnuppern können, um Kraft zu erhalten, um nicht zu verzagen. Ohnehin: In mir erwacht der Städter. Seit 1954 war ich nicht mehr in Berlin. Herrlich ist es hier. Gute Nacht Cleo.“
Ein Sonnabend. Die Offiziersschüler dürfen in Stahnsdorf nicht ausgehen. Wohin auch? Nach dem zehn Kilometer entfernten Potsdam? Außerdem, in greifbarer Nähe befindet sich die Endstation der S-Bahn. Die Bahn führt nach wenigen Metern direkt nach Westberlin hinein. Henry überlegt, abends vielleicht in den Regimentsklub zu gehen, mal sehen, welchen Film die heute spielen. Es ist 17.25 Uhr. Er liegt rücklings auf der Decke und schaut in den mit Schäfchenwolken bedeckten Himmel. Ein herrliches Wetter. Schlager erklingen. Gestern mußten alle auf der Straße vor dem Objekt noch einmal paradieren, damit auch nichts schief geht vor der „Weltöffentlichkeit“. Adam, der ehemalige Adjudant von Paulus in der Stalingrader Schlacht, schaute den Paradierenden – neben den Stabsleuten stehend – vom Straßenrand aus zu. Er ist groß und breit, und er nickte beifällig, mehr konnte man nicht sehen.
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Harry Popow: AUSBRUCH AUS DER STILLE. Persönliche Lebensbilder in Umbruchzeiten. © Copyright by Harry Popow, Verlag: epubli, Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin, Erscheinungsdatum 18.02.2019, ISBN: 9783748512981, Seiten: 500, Preis: 26,99 Euro.
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Über den Autor: Geboren 1936 in Berlin Tegel, erlebte Harry Popow (alias Henry) in seinem Buch „Ausbruch aus der Stille“) noch die letzten Kriegsjahre und Tage. Ab 1953 war er Berglehrling im Zwickauer Steinkohlenrevier. Eigentlich wollte er Geologe werden, und so begann Harry Popow ab September 1954 eine Arbeit als Kollektor in der Außenstelle der Staatlichen Geologischen Kommission der DDR in Schwerin. Unter dem Versprechen, Militärgeologie studieren zu können, warb man ihn für eine Offizierslaufbahn in der KVP/NVA. Doch mit Geologie hatte das alles nur bedingt zu tun… In den bewaffneten Kräften diente er zunächst als Ausbilder und danach 22 Jahre als Reporter und Redakteur in der Wochenzeitung „Volksarmee“. Den Titel Diplomjournalist erwarb der junge Offizier im fünfjährigen Fernstudium an der Karl-Marx-Universität Leipzig. Nach Beendigung der fast 32-jährigen Dienstzeit arbeitete er bis Ende 1991 als Journalist und Berater im Fernsehen der DDR. Von 1996 bis 2005 lebte der Autor mit seiner Frau in Schweden. Beide kehrten 2005 nach Deutschland zurück. Sie sind seit 1961 sehr glücklich verheiratet und haben drei Kinder, zwei Enkel und zwei Enkelinnen.
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