Jacob Reimann

Deutschland liefert, Saudi-Arabien tötet

Jacob Reimann

Am 24. Oktober wurden im Jemen bei einem Angriff der Saudi-Emirate-Koalition auf eine Fabrik mindestens 16 Zivilisten getötet. Ein Rüstungsexportbericht der Bundesregierung ergab, dass in den ersten drei Quartalen 2018 Rüstungslieferungen in Höhe von 416 Millionen Euro an Saudi-Arabien genehmigt wurden, in ganz 2017 waren es 254 Millionen. Deutschland macht sich zum Komplizen am Genozid im Jemen.

by Felton Davis, Flickr, licensed under CC BY 2.0 (edited by Jakob Reimann)

Die Aufmerksamkeit der geneigten, an Krieg und Frieden interessierten Leserin lag am Mittwoch – womöglich – auf drei Nachrichten mit Bezug zum Jemen. Eine aus Hodeida, eine aus Berlin und eine aus New York.
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Saudi-Emirate-Koalition tötet 16 Zivilisten

Die erste Nachricht: In Bayt al-Faqih, 70 km südlich von Hodeida im Westjemen fielen am Mittwoch Bomben auf eine Fabrik zur Verpackung von Gemüse. 16 Menschen wurden getötet, berichtet Reuters unter Berufung auf Rettungskräfte und Anwohner. Zwölf weitere Menschen wurden verletzt. Das Gesundheitsministerium spricht von 21 Toten. Ein Sprecher der Saudi-Emirate-Koalition versprach – wie immer – eine „vollständige Untersuchung“.

Anfang August bombardierte die Koalition das Al Thawra Hospital in Hodeida sowie einen nahegelegenen Fischerhafen und tötete 55 Zivilisten, 124 weitere wurden verletzt.

Nur eine Woche später regneten US-gefertigte Bomben der Saudi-Emirate-Koalition auf einen Schulbus in der Nähe eines Marktplatzes in der Sa’da-Provinz, 51 Menschen wurden getötet, fast alles Kinder, 77 weitere wurden verletzt (JusticeNow! berichtete).

Mitte September bombardierte die Koalition eine strategische Fernstraße nahe Hodeida und tötete 15 Zivilisten.

Im April 2018 tötete ein Luftschlag der Saudi-Emirate-Koalition 20 Zivilisten bei einem Angriff auf einen Kleinbus nahe Ta’iz. Ein Mann sitzt in den Trümmern nahe der Einschlagstelle. By Felton Davis, Flickr, licensed under CC BY 2.0

Rüstungsexporte an die Saudis auf Rekordhöhe

Die zweite Nachricht kam in der Tagesschau, die über einen Rüstengsexportbericht von Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) berichtete. Laut diesem genehmigte die Bundesregierung allein in den ersten drei Quartalen 2018 Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien in Höhe von 416 Millionen Euro, im Jahr zuvor waren es insgesamt 254 Millionen Euro. Eine Verdopplung zum Vorjahr ist demnach für 2018 absehbar – auch wenn Merkel nun einen vorläufigen Exportstopp nach Saudi-Arabien ankündigte.

Ein Satz von Tagesschau-Sprecherin Judith Rakers war bemerkenswert: „Vor allem die Lieferungen an Saudi-Arabien sind nach der Tötung des kritischen Journalisten Khashoggi umstritten.“

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Der Mord an Jamal Khashoggi ist abscheulich und mit größtem Nachdruck zu verurteilen, auch ist er bezeichnend für die Philosophie des Tyrannen Mohammed bin Salman (MbS). Doch ebenso bezeichnend ist der Umstand, dass nicht dreieinhalb Jahre versuchter Völkermord des Tyrannen MbS im Jemen deutsche Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien „umstritten“ machten, sondern der Mord an einem einzigen Journalisten. Die Empörung der deutschen und westlichen Öffentlichkeit ist ein seltsames, unter kognitiver Dissonanz leidendes Wesen.

Nicht der Mord an 131 Besuchern einer Hochzeitsfeier durch die Saudi-Emirate-Koalition im September 2015, nicht der Mord an 140 Trauernden auf einer Beerdigung im Oktober 2016 genauso wenig wie der Mord an 42 Menschen auf einem Flüchtlingsboot im März 2017 erzwingen ein Handeln der Merkel-Regierung, sondern der Tod eines Journalisten der Washington Post – die „westliche Wertegemeinschaft“ ist eine Lebenslüge.

Doch wenn es nun den Tod eines weltberühmten Journalisten bedurfte, um den Druck derart zu erhöhen, dass sich die Bundesregierung zum Handeln gezwungen sieht, sollten die Forderungen der antimilitaristischen Öffentlichkeit ebenso opportunistisch sein, wie das Regierungshandeln selbst: Einstellung sämtlicher Waffenexporte nach Saudi-Arabien und die anderen Koalitionsparteien – nicht nur zukünftiger, sondern auch Canceln bereits genehmigter Lieferungen. Es würde Milliardenverluste bei den deutschen Rüstungskonzernen geben, so heißt es, auch Vertragsstrafen würden auf die Regierung zukommen.

Ja, Werte haben einen Preis. Und das ist der Preis, den die Bundesregierung zur Verteidigung ihrer „Werte“ zahlen muss.
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Der Verrat der Regierung

Bereits im Koalitionsvertrag der aktuellen GroKo-Ausgabe steht unmissverständlich geschrieben: „Wir werden ab sofort keine Ausfuhren an Länder genehmigen, solange diese unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligt sind.“ Die Regierung hat es bis heute nicht geschafft, eine Liste zu erstellen, auf welche Länder dies überhaupt zutrifft. „Es gibt Gespräche“, erklärt Regierungssprecher Steffen Seibert und ist auf Nachbohren von Tilo Jung so hilflos wie selten.

Doch entgegen dem Standpunkt der Regierung ist dies keine Ansichtssache, sondern eine Sache von Fakten: Es gibt eine offiziell neun Länder umfassende Koalition, die den Jemen bombardiert. Plus den Jemen selbst sind dies also zehn Länder, die in jedem Fall tabu sind. Hinzu kommen die USA und Großbritannien, ohne deren Logistik der Krieg im wahrsten Sinne des Wortes morgen früh zu Ende wäre – eine „unmittelbare Beteiligung“ kann also auch bei diesen zwei Ländern nur schwer wegdefiniert werden.

Doch die Bundesregierung verrät nicht nur die jemenitische Bevölkerung, sondern auch die deutsche und begeht offensichtlichen Wortbruch an ihrem eigenen Papier: Erst im September wurden „millionenschwere Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Jordanien genehmigt“, heißt es in einem internen Schreiben von Wirtschaftsminister Altmaier an den Bundestag, welches dem Spiegel vorliegt. Die Luftwaffen all dieser drei Länder lassen jeden Tag Bomben auf die Bevölkerung des Jemen niederregnen – wie vieler „Gespräche“ bedarf es, um herauszufinden, ob diese Länder „unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligt sind“?

Nicht dreieinhalb Jahre Genozid im Jemen zwingen Angela Merkel zum Handeln, sondern der Tod eines Journalisten. By Sven Mandel, Wikimedia Commons, licensed under CC BY-SA 4.0 (edited)

Komplizenschaft an Genozid

Die Saudi-Emirate-Koalition begeht im Jemen einen versuchten Völkermord. Unablässiger Bombenterror tötet jeden Tag unschuldige Menschen – und zerstört deren ohnehin marode, dafür umso lebensnotwendigere Infrastruktur: Kraftwerke, Stromnetze, Straßen, Wohnviertel, Brücken, Häfen.

Sie bombardiert Krankenhäuser und Wasserwerke und verwandelt so die größte Choleraepidemie seit Beginn der Aufzeichnungen in eine Kriegswaffe. Sie bombardiert Marktplätze und Lebensmittelfabriken, blockiert über ein striktes Luft- und Seeembargo – auch mit deutschen Kriegsschiffen – Lebensmittelimporte und verwandelt so auch den Hunger in eine Kriegswaffe.

14 Millionen Menschen sind im Jemen akut von Hunger bedroht, so der neueste Bericht von UN-Nothilfekoordinator Mark Lowcock. Vor allem Kinder und alte Menschen sind betroffen. By Felton Davis, Flickr, licensed under CC BY 2.0

Die dritte Jemen-Nachricht: „14 Millionen Menschen von Hunger bedroht“, titelt die Tagesschau. Der Jemen hat rund 23 Millionen Einwohner, 60 Prozent sind demnach akut vom Hunger bedroht. Die Hungerkatastrophe im Jemen ist „viel größer als alles, was ein Mensch, der in diesem Feld arbeitet, in seinem Berufsleben jemals gesehen hat“, beschreibt der UN-Nothilfekoordinator Mark Lowcock das historische Ausmaß vor dem UN-Sicherheitsrat.

Hunger als genozidale Kriegswaffe – ausgeführt mit „unserem“ Kriegsgerät, „unserem“ Equipment, ermöglicht durch „unsere“ politische, diplomatische und vor allem moralische Rückendeckung.

Die UN-Völkermordkonvention bestraft nicht nur Genozid selbst, sondern stellt unter Artikel 3 (e) des Dokuments auch explizit „die Komplizenschaft an Genozid“ unter Strafe. Verbrechen gegen diese Konvention werden am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag verhandelt, Deutschland ist ratifiziertes Mitglied des Gerichts.


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Erstveröffentlichung auf JusticeNow. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers

Über den Autor: Als studierter Biochemiker hat Jakob Reimann ich ein Jahr in Nablus, Palästina gelebt und dort an der Uni die Auswirkungen israelischer Industrieanlagen auf die Umwelt und die Gesundheit der Menschen in der Westbank erforscht. Nach einiger Zeit in Tel Aviv, Haifa, Prag und Sunny Beach (Bulgarien) lebt er jetzt wieder in Israel und kennt daher „beide Seiten“ des Konflikts und die jeweiligen Mentalitäten recht gut. Soweit er zurückblicken kann ist er ein politisch denkender Mensch und verabscheut Ungerechtigkeiten jeglicher Art. Aus bedingungslos pazifistischer Sicht schreibt er gegen den Krieg an und versuche so, meinen keinen Beitrag zu leisten. Seine Themenschwerpunkte sind Terrorismus, das US Empire, Krieg (Frieden?) und speziell der Nahe Osten.

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