Stefan Schneider
#aufstehen: Eine Sammlungsbewegung, die spaltet
Seit Samstag vor einer Woche wird heftig über #aufstehen diskutiert. Dabei soll es sich um eine Antwort auf die Schwäche des Reformismus und das Wachstum der AfD handeln. Doch statt für die Einheit aller Beschäftigten zu kämpfen, zementieren Wagenknecht und Lafontaine damit die Spaltung der Klasse.
Am vergangenen Samstag haben Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine #aufstehen lanciert. Zunächst als Website, ab dem 4. September geht es auch offiziell los. Der Schritt war schon lange angekündigt und schon seit Monaten diskutiert der linke Teil der Republik über Sinn und Unsinn der „neuen linken Sammlungsbewegung“.
Im Mai war unter dem Stichwort #fairland ein erster Entwurf für ein programmatisches Manifest bekannt geworden. Neben einigen sozialen Forderungen stach dort vor allem eine chauvinistische Ablehnung einer „Willkommenspolitik“ gegenüber Geflüchteten hervor, nach dem Motto: Um die Sozialsysteme zu schützen, dürfen nicht alle Menschen nach Deutschland hineingelassen werden.
Noch ist das endgültige Manifest für #aufstehen nicht veröffentlicht, und es gibt Spekulationen, dass das Programm der Bewegung in diesem Aspekt ein wenig entschärft werden könnte. Jedoch vertreten Wagenknecht und Lafontaine diese Logik schon seit Längerem und sie ist der Kern dessen, was sie von dem rivalisierenden Flügel in der Führung der Linkspartei trennt. Besonders klagen sie die angeblich „postmodern“ gewendete Linke an, die sich mehr um Diskriminierungsfragen und Geflüchtete kümmere als um die sozialen Probleme der Arbeiter*innen in diesem Land. Dagegen schlagen sie eine Rückkehr zu diesem „linken Kerngeschäft“ vor.
Das Offensichtliche zuerst: Mit dieser Argumentation akzeptiert #aufstehen die soziale Spaltung, die der Kapitalismus der Arbeiter*innenklasse und den Massen in immer wieder neuen Formen auferlegt, als unüberwindbar. Weil es nicht möglich sei, die Forderungen der Mehrheit der Klasse und die Forderungen von Geflüchteten gleichermaßen zu erfüllen – in einem der reichsten Länder der Erde! –, müsse die Zuwanderung eben eingeschränkt werden. Mit dieser kruden Vorstellung davon, wie Klassenkampf funktioniert, werden die demokratischen – und sozialen! – Fragen der Geflüchteten und aller Migrant*innen in diesem Land einfach aus der Rechnung ausgespart. Die Arbeiter*innenklasse in Deutschland hat nach dieser Vorstellung mit diesen Fragen nichts zu schaffen, denn stattdessen müsse es ja um eine ökonomische Besserstellung der Verlierer*innen der Spar- und Privatisierungspolitk der letzten Jahrzehnte gehen.
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Zementierung statt Überwindung der Fragmentierung der Klasse
Doch diese platte und reaktionäre Logik verkennt nicht nur völlig die Ursachen der sozialen Misere, die sie zu bekämpfen vorgibt, sondern negiert auch, dass die Arbeiter*innenklasse schon jetzt multiethnisch zusammengesetzt ist und demokratische Fragen deshalb in ihrem ureigensten Interesse sind. Das Akkumulationsmodell des deutschen Kapitals basiert spätestens seit den 90er Jahren und vor allem seit der Agenda 2010 auf einer erzwungenen Dualisierung der Arbeiter*innenklasse. Das heißt, ein massiver Niedriglohnsektor wurde geschaffen, der die Klasse in zwei Teile gespalten hat: ein relativ gut bezahlter, qualifizierter Sektor, der meist viele Überstunden arbeitet; und ein schlecht bezahlter, auf Minijobs, Teilzeit und Kettenbefristungen angewiesener Sektor, der kaum über die Runden kommt. Innerhalb dieses schlecht bezahlten Sektors sind Migrant*innen überrepräsentiert. Schlechte Arbeitsbedingungen und gesellschaftlicher und staatlicher Rassismus gehen hier Hand in Hand. Und Geflüchtete, die völlig illegalisiert werden oder zumindest in noch schlechteren Bedingungen in den Arbeitsmarkt integriert werden, dienen als weiterer Hebel zur Absenkung des Lohnniveaus und der Arbeitsbedingungen.
Zwar kritisiert #aufstehen die Auswirkungen der Agenda 2010 – auf der Kampagnen-Seite prangern Slogans wie „Kein Kind sollte in Armut aufwachsen“ und „Flaschen sammeln darf keine Lösung sein“. Doch ihr Vorschlag ignoriert den Fakt, dass eben die die hunderttausenden Geflüchteten und vor allem die Millionen von Migrant*innen, die schon lange in Deutschland leben, zu großen Teilen einen überausgebeuteten Sektor der Arbeiter*innenklasse bilden. Es handelt sich nicht um eine „moralische“ Frage, um die sich die Linke laut Wagenknecht und Co. heute mehr als um soziale Fragen kümmere. Im Gegenteil ist die Überwindung dieser Spaltung ein elementares materielles Problem. Wagenknecht und Co. zementieren diese Spaltung der Klasse, statt sie zu überwinden. Denn Migrant*innen, die am meisten ausgebeuteten Sektoren der Klasse, werden von ihnen nicht als Verbündete oder gar als Subjekte des Kampfes gesehen, sondern als Problem, dem man sich entledigen müsse, um für einen anderen Teil der Klasse ein paar Brotkrumen mehr herauszuschlagen.
Dabei müsste genau das Gegenteil der Fall sein: Anstelle mit der Abschottung der Grenzen das Problem zum Teil zu externalisieren und zur Illegalisierung der schon hier im Land befindlichen Menschen beizutragen, müsste die Devise der gemeinsame Kampf von Geflüchteten und Einheimischen, von Arbeiter*innen mit und ohne deutschen Pass, von prekären und gut bezahlten Arbeiter*innen sein. Und zwar auf doppelte Weise: Die prekären, ausgegrenzten, unterdrückten Sektoren müssen die gemeinsame Front mit der Mehrheit suchen. Und vor allem müssen die kampfkräftigen Teile der Klasse sich die Forderungen der Geflüchteten und aller untergeordneter Sektoren zu eigen machen und für eine gemeinsame Lösung eintreten.
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Erstveröffentlichung in Klasse gegen Klasse. Veröfentlicht mit freundlicher Genehmigung der Herausgeber.
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