Katrin Vogler

Aufstehen und weitergehen
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Katrin Vogler

Alle haben neugierig darauf gewartet: die Gläubigen und die Skeptiker*innen. Nun ist es online und wir alle sind nicht wesentlich klüger: Mit einem Online-Auftritt unter aufstehen.de, einem inhaltlich nicht besonders verbindlichen Trailer und einem Artikel von Marco Bülow, Sevim Dagdelen und Antje Volmer meldet sich die von Sahra Wagenknecht lange angekündigte „Sammlungsbewegung“ zu Wort. Offiziell gegründet werden soll sie erst am 4. September mit der Vorstellung eines Aufrufs und einer Liste prominenter Unterstützer*innen.

Aber man kann sich auch jetzt schon mal ohne inhaltliche Grundlage als Unterstützer*in registrieren.

Sahra Wagenknecht, Foto: fantareis, Pixabay, CC0 Creative Commons

Als Bewegungsaktivistin seit früher Jugend interessiert mich das Projekt natürlich brennend. Schon lange fragen wir uns, warum es der Friedensbewegung trotz hoher Zustimmung für ihre Inhalte so wenig gelingt, wirkliche Massenproteste auf die Füße zu stellen. Wenn es stimmt, dass die Flüchtenden auf dem Mittelmeer und auf der Balkanroute das Ergebnis einer desaströs falschen Außen- und Wirtschaftspolitik der EU sind, wenn wirklich (je nach Umfrage) drei Viertel der Deutschen gegen Rüstungsexporte in Krisengebiete und Auslandseinsätze der Bundeswehr sind, wo bleibt dann der Aufstand gegen eine Bundesregierung, die ungeniert Waffendeals mit Warlords und Diktatoren einfädelt, Atomwaffen nur ablehnt, wenn sie nicht von Verbündeten kontrolliert werden und die gigantischste Aufrüstungswelle seit dem Ende des Kalten Kriegs eingeleitet hat?

Wenn die Schere zwischen Arm und Reich in diesem Land immer weiter auseinander geht und die Menschen immer deutlicher spüren, dass sie und ihre Kinder um jedes Bisschen an Sicherheit und Lebensqualität immer erbitterter kämpfen müssen, warum gehen sie nicht auf die Straße? Warum wenden sie sich rassistischen Hetzern zu und nicht der LINKEN, der einzigen Partei im deutschen Bundestag, die von Anfang an klare Kante gegen Aufrüstung und Sozialabbau gezeigt hat?

Für mich war der entscheidende Impuls zum Eintritt in DIE LINKE, dass ich nach all den bitteren Enttäuschungen über die Regierungspolitik von SPD und Grünen endlich wieder eine Partei im Bundestag haben wollte, die genau diese klare Kante zeigt. Die Haltung bewahrt, wenn sich andere von Lobbyisten umgarnen lassen und die ihre Tagesordnung nicht von den Interessen der Kapitalisten bestimmen lässt, sondern von den Interessen derjenigen, die tagtäglich ihre Haut zu Markte tragen müssen, um einigermaßen über die Runden zu kommen.

Dass diese Partei und ihre Mitglieder gegen starke Widerstände aus dem Politikbetrieb und den Massenmedien zu kämpfen haben würde, war schon bei ihrer Gründung glasklar. Und noch zehn Jahre nach ihrer Gründung wird sie ignoriert, belächelt und ausgegrenzt.

Das Potenzial, das die SPD in ihrem selbstzerstörerischen Anpassungskurs an die Interessen des Großkapitals und der Rüstungslobby an Vertrauen verspielt hat und in der Koalition mit der CDU/CSU weiter verspielt, kann DIE LINKE bisher nur teilweise auffangen.

Webauftritt mit Logo der „Sammelbewegung“, Screenshoot

Das hat auch mit der fehlenden Machtperspektive im Bund zu tun: In Berlin, wo DIE LINKE mit der SPD zusammen regiert, ist sie inzwischen in Umfragen zur stärksten Partei geworden. Das hängt sicher auch damit zusammen, wie die Partei dort zentrale Themen wie Wohnungspolitik angeht und sich mit außerparlamentarischen Bewegungen wie Mieterinitiativen und antirassistischen Gruppen verbündet.

Ein außerparlamentarisches Projekt, das ehemaligen SPD-Mitgliedern und Wähler*innen bundesweit eine Möglichkeit bietet, gesellschaftlichen Druck aufzubauen, ist eine überfällige Idee. Messen lassen muss sich die Initiative um Sahra Wagenknecht letzten Endes daran, ob sie ihr öffentlich ausgegebenes Ziel erreicht, das gesellschaftliche Klima wieder nach links zu verschieben und eine Durchsetzungsperspektive für ihre Forderungen zu erarbeiten.

Ersetzen kann #aufstehen DIE LINKE jedoch nicht. Die bisher bekannten Forderungen spielen vor allem mit Ideen aus dem sozialdemokratischen Satzbaukasten: Ein starker Sozialstaat, eine Re-Regulierung des Arbeitsmarkts und eine Rückkehr zur Außenpolitik Willy Brandts, sind berechtigte, aber doch eher defensive Forderungen. Ein echter Aufstand ist das noch lange nicht. Und die Anlage des ganzen Projekts dürfte in die Geschichte sozialer Bewegungen in der Bundesrepublik als einmalig eingehen: eine Bewegung, die in einem absolut geschlossenen Zirkel am Reißbrett konzipiert und dann zu einem Stichtag ausgerufen wurde, das hat es so noch nicht gegeben.

Marx hat darauf hingewiesen, dass das gesellschaftliche Sein das Bewusstsein der Menschen bestimmt. Wenn das noch immer gilt, dürfte es keine kleine Aufgabe werden, aus einer eher autoritär entstandenen Bewegung etwas zu entwickeln, das der Befreiung der Menschen dienlich ist. Was allerdings schon heute als positive Wirkung erkennbar ist: Wir haben eine breite Debatte darum, wie sich die politische Linke in diesem Land stärker verankern kann und mit welchen Bündnissen wir dem Rechtsruck, der zunehmend auch die Parteien der „Mitte“ erfasst, wirksam entgegentreten können. Positive Ansätze gibt es viele. Etwa die vielen Menschen, die schon heute weitgehend selbstorganisiert gegen das Sterben im Mittelmeer aufstehen. Oder die Mitarbeiter*innen an den Unikliniken in Düsseldorf und Essen, die gegen die katastrophalen Arbeitsbedingungen in der Pflege streiken. Diese realen Aufstände müssen ernstgenommen und gestärkt werden. Damit aus Aufstehen auch Widerstand werden kann.
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Erstveröffentlichung in „Die Freiheitsliebe“  vor wenigen Tagen. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers.

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