Rui Filipe Gutschmidt
Europäische Werte – Gibt es sie noch? Gab es sie je?
Europa sah sich lange Zeit als Zentrum des zivilisatorischen Fortschritts. Im 15. Jahrhundert begannen Europäische Mächte mit einem Wettlauf um die Aufteilung der Welt. Die Arroganz der europäischen Nationen führte zu den brutalsten Kriegen der Geschichte und dennoch sind wir der Meinung die „Europäischen Werte“ seien das Maß aller Dinge. Aber wovon reden wir eigentlich?
Die viel heraufbeschworenen „Europäischen Werte“ sind in aller Munde und doch hat wohl jeder seine ganz eigene Vorstellung davon, was das genau darstellen soll. Unsere Politiker faseln von Menschenrechten, Freiheit, Nächstenliebe, aber alles was sie tun, ist im Interesse der Hochfinanz, der Großkonzerne und Lobbyisten, die sich die nationalen und supranationalen Institutionen zunutze machen, um Gesetze hinzubiegen und so wächst die Macht obskurer Figuren, die keinerlei Interesse an „Werten“ haben, die sich nicht in Währungen oder irgendeiner anderen materiellen Form manifestieren.
Doch es gibt Menschen, die nicht der Gier nach Geld und Macht folgen und
dennoch sind unter diesen viele verschiedene Wertvorstellungen, die weit
von einander entfernt und völlig inkompatibel sind. Moral, Ethik,
Wertegemeinschaften und Kulturen sind die Basis von Religionen und
Ideologien. So gesehen haben wir in Europa ganz unterschiedliche
Wertvorstellungen, die miteinander konkurrieren und die oft nichts mit den
Werten am Hut haben, die von der Europäischen Union offiziell als
„Europäische Werte“ bezeichnet werden.
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EU-Wertegemeinschaft
Die EU-Politiker bezeichnen Demokratie, Menschenrechte und teilweise die christlich-abendländische Kultur als Basis der europäischen Werte. Aber dabei ist die Vorstellung von dem, was „Demokratie“ oder „Rechtsstaatlichkeit“ bedeutet nicht immer die selbe in verschiedenen Staaten, Regierungen, Parteien. Denn „demokratisch gewählt“ werden auch Diktatoren. Manche lassen eine Scheinopposition zu, andere Installieren eine Diktatur der Mehrheit und ignorieren nach der Wahl völlig den Willen und die Bedürfnisse ihrer Bürger.
Pressefreiheit, Meinungsfreiheit, Versammlungsrecht und anderes mehr, werden anscheinend nur in der „westlichen Welt“ respektiert. Immer wieder wird Russland kritisiert, oder die Türkei. Auch Ungarn, Polen, aber auch Venezuela stehen in der Kritik, mit Polizeistaatsmethoden die Presse zu manipulieren und Oppositionelle zu verfolgen. Weniger Kritik hört man – zumindest in Deutschland – zum autoritären Regierungstil in der Ukraine oder in Israel. Doch auch bei uns wird die Presse manipuliert, werden die großen Medienkonzerne zu Propagandazwecken missbraucht und friedliche Demos werden von Agitatoren unterwandert, um die Forderungen nach einer gerechteren Welt zu deskreditieren. Kleine Onlinezeitungen, Magazine oder Blogger, die den Menschen alternative Sichtweisen aufzeigen, werden mit den Seiten von Islamisten und Extremisten aller Art in einen Topf geworfen. So arbeiten aber Staatsorgane in aller Welt und was ihnen nicht passt ist schnell Terrorismus oder „Staatsfeindlich subversiv“.
So halten sich die EU-Politiker selber nicht an ihr „Wertesystem“ und wenn sie
mit Saudi-Arabien, Libyen oder anderen Diktaturen und autoritären Regimen
Geschäfte machen, dann sind alle Sorgen um Menschenrechte wie
weggeblasen. „Die Kanzlerin hat ihre Besorgnis zum Thema
Menschenrechtsverletzungen zum Ausdruck gebracht“, heißt es dann. Nur
wenn die geopolitischen Interessen auf dem Spiel stehen stört unsere
Volkszertreter eine jede Abweichung von ihrer verdrehten Auffassung von
Demokratie und Menschenrechten.
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Abendländische Kultur
Ja, die „Identitären“ berufen sich auf die Abendländische Kultur und sagen, dass sie das Erbe der Griechen, Römer und christlichen Königreiche schützen müssten. Dabei stelle ich nicht in Frage, dass unsere Zivilisation vieles von diesen Kulturen übernommen hat, doch inzwischen gab es eine Entwicklung, bei der von den Wikingern über die Steppenvölker aus dem Osten bis hin zu den islamischen Reichen auf der Iberischen Halbinsel und dem Osmanischen Reich, unzählige Kulturen die Europäer beeinflusst haben. Diesen Teil der Geschichte ignorieren die Identitären aber. So auch alle Nationalisten, die sich auf „Werte“ wie Rassenreinheit und „Recht und Ordnung“ berufen.
Dabei verstoßen sie aber gegen die „christlichen Werte“ die sie so hoch halten
und auf dessen Schutz sie sich berufen. Denn Nächstenliebe haben sie
höchsten gegenüber ihrem „Volk“, „Rasse“ und natürlich nur bei denen die ihre
verschrobene Rassenideologie teilen. Vergebung? Das ist in ihrer Rachejustiz
ebenfalls nicht vorgesehen. Stattdessen reden Sie vom „Kampf der Kulturen“
und sind davon überzeugt, dass ihre Kultur, was auch immer das genau sein
soll, allen anderen überlegen ist. Ob Blasmusik, Bierkrugstemmen und
Bratwurst eine Kultur ausmachen, will ich nicht beurteilen. Sie sind aber
zweifellos ein Teil der wunderbaren Vielfalt der Kulturen Europas…
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Sozialistische Werte als Gegengewicht zum Kapitalismus und Nationalismus
Die Werte, denen ich selber den Vorzug gebe, sind die Werte einer sozialistischen Demokratie. Die Menschenrechte sind die Basis, doch während der Kapitalismus das „Recht auf privates Eigentum“ vor alle anderen Rechte stellen und die Gier als „treibende Kraft“ der technologischen Entwicklung sieht, hat der demokratisch-progressive Sozialismus die Chancengleichheit im Sinn und steht für die Beseitigung der enormen Unterschiede zwischen Armen und Reichen. Niemand soll mehr Hunger leiden und kein Mensch wird zurückgelassen. Die Umweltzerstörung muss gestoppt werden und die Technologie gehört zum Wohl der gesamten Menschheit eingesetzt. Wissenschaftliche Erkenntnisse statt religiösen Aberglauben, ein Staat der sich um die Nöte und Interessen der Menschen kümmert und eine Gesellschaft, die sich dem Allgemeinwohl widmet.
Denn auch der Sozialismus entwickelt sich weiter und die Werte, denen wir folgen, sind ebenso das Resultat einer Evolution. Dabei sollte man immer einen dieser Werte vor Augen haben: Toleranz! Aber auch Gleichberechtigung, Hilfsbereitschaft, Umwelt und Tierschutz, Selbstbestimmungsrecht und individuelle Freiheit gehören dazu.
Welche Werte halten wir „aufgeklärten“ Europäer noch für wichtig? Was glauben unsere Leser? Die Redaktion von Info-Welt freut sich schon jetzt auf eure Feedbacks (mit dem Wert „Respekt vor anderen Meinungen natürlich…).
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Dieser Artikel erschien auch auf unserer Partnerseite INFO-WELT
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