Yücel Özdemir
Willkommen in der »Ein-Mann-Republik«
Es war von Anfang an klar, dass die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen am 24. Juni das Schicksal der Türkei bestimmen werden. Jetzt ist Erdoğans Selbstbewusstsein stärker denn je; die Wahl in der ersten Runde für sich entschieden zu haben, hat ihn gestärkt und er nähert sich schnellen Schrittes seinen Zielen. Er spricht von einer »neuen Ära« und einer »neuen Türkei«.
Seine erste Handlung spricht Bände: Er widersprach der Bezeichnung »13. Staatspräsident« in der ihm vom Hohen Wahlausschuss ausgestellten Ernennungsurkunde. Er sei nicht der Nachfolger der früheren zwölf Präsidenten. In der korrigierten Urkunde steht nun »1. Staatspräsident der neuen Ära«.
Hinter diesem Einwand steckt sicherlich nicht nur der Versuch, sich von seinen Vorgängern abzuheben. Hauptsächlich geht es ihm darum, ein Zeichen zu setzen, dass sich in der Republik vieles ändern wird. Eine ähnliche Botschaft wurde auch bei der Amtseinführungsfeier gesendet. Man nutzte Zeichen und Symbole mit Bezug zur vorrepublikanischen Zeit, zur Zeit des Osmanischen Reiches und anderer historischer Staatsgebilde der Türken.
Unter Intellektuellen war in den 1990ern die Forderung nach der »Zweiten Republik« weit verbreitet. Damit brachte man die Sehnsucht nach einer Änderung des zentralistischen Staatsaufbaus und nach der Demokratisierung des Systems zum Ausdruck. Ein wesentlicher Teil der Verfechter dieser Veränderung hatten Erdoğan in dessen ersten Amtsjahren entschlossen unterstützt. Sie verbreiteten die Einschätzung, eine Abrechnung Erdoğans mit dem elitären kemalistischen Regime und mit der Armee würde die Republik reformieren. Doch im Laufe der Zeit wurde ihnen klar, dass Erdoğan die Republik nicht demokratisiert, sondern wie in ihren Gründungsjahren autoritärer gestalten wollte. Als sie ihre Unterstützung zurückzogen, war es bereits zu spät. Viele der Verfechter der »Zweiten Republik« fielen bei Erdoğan in Ungnade.
In der Tat bedeutet die Vereidigung Erdoğans am 8. Juli in vielerlei Hinsicht den Eintritt in eine »neue Ära«, die eine Rückwärtsentwicklung einleiten wird. Das Land wird nun in jeder Hinsicht vom Präsidentenpalast aus regiert. Das Parlament wird keine legislative Funktion mehr haben. Nach den Worten Erdoğans wird die Türkei »wie ein Unternehmen geführt«. Deshalb wurden die Minister nicht aus den Reihen der gewählten Parlamentarier ernannt, sondern aus den Reihen von Managern.
Erdoğan wird alles bestimmen und die von ihm ernannten Minister werden ihm nicht widersprechen dürfen. Jeder Beschluss aus dem Palast wird wie ein Sultan-Erlass gelten.
Allein die Aufhebung des Ausnahmezustands, der seit dem 20. Juli 2016 verhängt und alle drei Monate verlängert wurde, und unter dem 130 000 Staatsbedienstete entlassen, 50 000 Menschen verhaftet, zahlreiche Zeitungen, Radio- und TV-Sender geschlossen, über 150 Journalisten, 70 000 Studenten und unzählige kurdische Politiker inhaftiert und Streiks verboten wurden, hat keine Bedeutung. Denn das neu installierte System entspricht einer Staatsordnung unter Ausnahmezustandsrecht.
Die für den 18. Juli angekündigte Beendigung des Ausnahmezustands dient nur der Imagepflege, weil die inzwischen getroffenen gesetzlichen Maßnahmen das offizielle Ausnahmezustandsrecht überflüssig machen.
Die Türkei steht also am Beginn einer neuen Ära. Offensichtlich sollen in dieser neuen Ära die demokratischen, laizistischen und sozialen Errungenschaften der Republik rasant beseitigt werden. Offenbar wird der parlamentarischen Opposition in dieser neuen Ära keine große Bedeutung zuteil. Jetzt wird es auf die Organisierung der außerparlamentarischen Opposition ankommen. Um zu verhindern, dass das Land von der »Ein-Mann-Republik« geführt wird, gegen die sich fast die Hälfte der Bevölkerung aussprach, wird die gesellschaftliche Opposition in jeder Hinsicht unumgänglich sein.
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Übersetzung: Oktay Demirel
Erstveröffentlichung in „NeuesLeben/YeniHayat“ vor ein paar Tagen. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers. Bilder hinzugefügt von der Redaktion AmericanRebel.
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Dass Erdogan durch die Wahlen seine Macht schlussendlich zur Ein-Mann-Show ausbauen konnte, ist weniger darin begründet, dass die Linke in der Türkei versagt hätte oder an dem Herrscher gescheitert sei. So eine Analyse wäre grundverkehrt.
Erdogan war es möglich, seine Macht auszubauen, weil die internationale Linke und deren Solidarität für die Unterdrückten, Eingesperrten und Gefolterten versagt hat.
Die internationale Linke hätte den Wahlkampf der HDP tatkräftig unterstützen müssen. Die internationale Solidarität mit dem von der Türkei und ihren islamistischen Hilfstruppen überfallenen Afrin hat schon ein kleines Schlaglicht in die richtige Richtung gegeben. Wenn dieser Protest noch deutlich nachhaltiger und radikaler gewesen wäre, hätte Erdogan keinen Spaß an seinen Wahlen gehabt.
Im Grunde kann man sagen, dass die internationale Linke ihre BundesgenossInnen und die unterdrückten Menschen allgemein in der Türkei im Stich gelassen hat.
Diese Erscheinung ist nicht neu.
Eben haargenauso war es, nachdem Syriza in Griechenland die Regierung übernommen hatte und von der EU und diesen ganzen anderen Geldfuzzis unter Druck gesetzt wurde. Linke an der Regierung können das hiesge System nicht verändern. Das können nur die Menschen auf der Straße und eine wohlorganisierte Widerstandsbewegung.
Wenn in Deutschland über drei Wochen hinweg Millionen auf der Straße wären, wäre den Damen und Herren in der Regieurng ziemlich schnell eingefallen, dass sie Hartz IV schon immer doof fanden.
Genau dasselbe Problem war es mit Griechenland. Wenn europaweit Millionen auf der Straße gewesen wären, um die linke Regierung in Athen zu unterstützen und entsprechend radikale Forderungen gestellt hätten, wäre der Deutschen Bank ziemlich bald eingefallen, dass sie doch sowieso auf einen großen Teil der Forderungen verzichten wollte. Der Finanzminister hätte das "glattgestellt". Die Bank hätte keinen Schaden genommen.
Es reicht also nicht, nur eben national irgendwelche guten Kampagnen zu machen. Die Linke muss sich europaweit handlungsfähig aufstellen so, dass auch jederzeit nationale Bewegungen in einzelnen Ländern unterstützt werden können. Gefragt ist internationale Solidarität!