Susan Bonath

Und die Profite sprudeln

Armutsbericht

Susan Bonath

Die Zahl der Armen in Deutschland hat einen neuen Höchststand erreicht. Armut betrifft fast ein Sechstel der deutschen Bevölkerung: knapp 13 Millionen Menschen. Zu keiner Zeit seit der Einverleibung der DDR gab es so viele Abgehängte. Armut ist unübersehbar: Unter Berliner Brücken, in Frankfurter Bahnhöfen, in Hamburger Parks – zum Beispiel. Darum verwundert der neue Armutsbericht des Paritätischen Gesamtverbandes nicht. Er belegt nur eine Entwicklung, die seit langem bekannt ist; eine Tendenz, welche die Regierenden beharrlich gleichgültig ignorieren – und fördern.

Die Koalitionäre feiern in Berlin lieber die deutschen Exportüberschüsse. Die kletterten im vergangenen Jahr auf 253 Milliarden Euro. Das ist ein neuer Rekordwert seit dem Ende der DDR, und ein Achtel des gesamten Bruttoinlandsproduktes. Auch das steigt immer weiter: Mit 3,13 Billiarden Euro schufen Beschäftigte im Deutschland des Jahres 2016 doppelt so viele Werte wie 1991.

Zu verdanken ist das auch einem boomenden Niedriglohnsektor und den seit Jahren stagnierenden mittleren Einkommen. Und während die Wirtschaft brummt, wächst die Zahl derer, die von ihrer Arbeit nicht mehr leben können. »Unterbeschäftigt« nennt die Bundesagentur jene, die mit Hartz IV aufstocken müssen. Im Februar lebten mit 6,1 Millionen wieder mehr Menschen von dieser minimalen Grundsicherungsleistung.

Anstatt die Wirtschaft an die Kandare zu nehmen, dafür zu sorgen, dass alle vom Boom profitieren, lässt die Politik die Armen gängeln. Wer nicht bereit ist, billig für fremde Profite zu schuften, den sanktionieren Jobcenter bis auf null. Mittellose Familien aus dem EU-Ausland werden dieser Tage von Sozialämtern mit Bescheiden über die Einstellung von Leistungen drangsaliert. Mehr als 330.000 Stromsperren im vorigen Jahr belegen: So viele Menschen, wie in eine mittlere Großstadt passen, können sich keine Energie mehr leisten.

Armut, Foto: free CC0 Public

Noch größer ist die Zahl der Obdachlosen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe hatte bis zum Ende dieses Jahres ihren Anstieg auf eine halbe Million prognostiziert – unter ihnen Zehntausende Minderjährige. Betroffene sammeln Flaschen, betteln an Bahnhöfen, schlafen in U-Bahn-Tunneln. Inmitten einer obszönen Dekadenz der Reichen wächst ein Stück »Dritte Welt« in Deutschland.

Doch es ist abzusehen, dass die Parteien, die sich christlich oder sozialdemokratisch nennen, die Schuld weiterhin den Armen anlasten werden. Die Betroffenen sollen gefälligst sehen, wo sie bleiben, seien es die Alleinerziehenden, die verarmten Rentner oder die ehemaligen Kohlekumpel im Ruhrgebiet. Hauptsache, die Profite sprudeln immer schneller in die Kassen der Konzerneigner und Investoren. Hauptsache, die deutsche Wirtschaft wächst. Vom Rechtsstaat wird nur gegängelt und verfolgt, wer zu schwach ist, beim Monopoly mitzuhalten.

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Erstveröffentlichung: Junge Welt, 24.02.2017. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Autorin
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