F.-B. Habel
Die rote Fahne auf der Bühne
Friedrich Wolfs »Die Matrosen von Cattaro« im Landestheater Neustrelitz
Ein dermaßen langer Applaus vor der Pause war im Sprechtheater wohl lange nicht zu erleben. Im Bühnenbild von Jörg Masser, das Anleihen beim Konstruktivismus nimmt, hatten sich die Schauspieler in Neustrelitz als protestierende Schiffsbesatzung formiert und das Lied der Matrosen von Kronstadt angestimmt: »Vorwärts an Geschütze und Gewehre, auf Schiffen, in Fabriken und im Schacht …« Traute sich das Publikum mitzusingen?
Einen Sturm im Wasserglas hatte es zuvor in der Lokalpresse gegeben, die gern den Stolz der früheren Residenzstadt beschwört. Die rote Fahne auf der Bühne? Marxistische Theorie? Propagierung der Weltrevolution? Wer ein Stück von Friedrich Wolf auf die Bühne bringt, kann immer noch für Aufregung sorgen!
Der nach fünf Jahren scheidende Oberspielleiter Wolfgang Bordel will mit seiner »Die Matrosen von Cattaro«-Inszenierung zum Nachdenken anregen. Es werden gleich auch einige Jubiläen begangen. Vor hundert Jahren endete der Erste Weltkrieg mit Matrosenaufständen, und in diesem Jahr begehen wir den 130. Geburtstag und den 65. Todestag von Friedrich Wolf, dem in der Weimarer Republik neben Brecht erfolgreichsten linken Dramatiker. Das Landestheater Neustrelitz, das nach seiner Wiedererrichtung 1954 den Namen Friedrich Wolfs erhielt, den es 1991 sang- und klanglos ablegte, kehrt mit dieser Inszenierung zum Namensgeber zurück. Ausnahmsweise und nur für fünf Vorstellungen. Interessenten sollten sich beeilen!
Warum es denn gerade »Die Matrosen von Cattaro« sein mussten, ein Revolutionsstück aus einer Situation, die uns fremd geworden ist, fragte bei der Premiere am vergangenen Sonnabend ein Zuschauer leicht gequält in der Pause. »Cyankali« oder »Professor Mamlock« seien doch ganz aktuelle Stücke. Oder die »Weihnachtsgans Auguste«.
Tatsächlich hat das Drama zur Marxschen Theorie von der Weltrevolution eine gewisse Sprödigkeit. Das Programmheft zu lesen, lohnt die Mühe. Auf der »St. Georg«, einem Kriegsschiff der k. u. k.-Armee, das 1918 in auswegloser Situation in der Bucht von Cattaro (im heutigen Montenegro) festliegt, wächst die Unzufriedenheit der Mannschaft. Strafarbeiten, schlechtes Essen für die Matrosen, gutes für Offiziere, die Sehnsucht nach den Familien und dem Ende des Krieges lassen auf diesem Schiff und auf anderen in der Nähe eine revolutionäre Situation entstehen. Der Maat Franz Rasch übernimmt Verantwortung und stellt sich auf der »St. Georg« an die Spitze der Aufständischen. Als wenig geschulter Zauderer kann er die halbherzige Rebellion nicht zum Erfolg führen. Seine Unerfahrenheit und Inkonsequenz, sein Beharren auf dem gleichberechtigten Mitreden aller, führen zum Scheitern. Die Lehre heißt: »Kameraden, das nächste Mal besser!«
Regisseur Bordel, der in Anklam als dienstältester deutscher Theaterintendant demnächst sein 35jähriges Jubiläum begehen kann, hat das Stück für Neustrelitz bearbeitet. Einige Rollen wurden gestrichen. Dafür wurde eine Figur hinzugefügt. In dem reinen Männerstück gibt es jetzt eine Frau: Ruth, die Schwester von Franz Rasch. Sie hat einige Dialoge (auch mit Wolf-Texten), die die Verbundenheit der revolutionären Matrosen mit ihren Familien in der Heimat zum Ausdruck bringen. Ruth nimmt Anteil am Kampf, singt Lieder, die zur Stimmung passen, die Schauspielerin wählte selbst Titel vom Oktoberklub und von Renft – am Schluss interpretiert sie eindrucksvoll das Spanienlied von der Jarama-Front.
Josefin Ristau spielt diese Rolle in einem nicht ganz homogenen Ensemble. Bemerkenswert Fabian Quast, der als Deckmatrose Toni seinen kleinen Sohn vermisst und am Schluss doch weiß, wo sein Platz ist, und Thomas Pötzsch als zynisch-schindender Leutnant. Getragen wird die Inszenierung von dem souveränen Marco Bahr, der als Franz Rasch in den lauten wie den leisen Szenen überzeugt.
Gerade weil das Landestheater derzeit ohne Namen dasteht (»Königin-Luise-Theater« wäre doch passend, frotzelte der Regisseur), ist es gut, dass Bordel mit Wolfs Drama neue Denkanstöße gibt. Demnächst auch gern mit »Professor Mamlock«, »Cyankali« oder wenigstens der »Weihnachtsgans Auguste«.
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Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors
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Gute und erhellende Rezension, danke! Leider werde ich nicht dazu kommen, mir dieses Stück in Neustrelitz anzusehen – aber es gehört ins Gorki in Berlin, hoffe, es dort irgendwann zu sehen.
Die Rezension macht neugierig. Schade, dass sich bisher niemand in Berlin für dieses Stück interessiert.