Julius Jamal
Rechtsstaatlichkeit muss auch für Puigdemont gelten
Im Gespräch mit Zaklin Nastic
Bis vor wenigen Tagen war der ehemalige katalanische Präsident Puigdemont noch in einem deutschen Gefängnis, weil Spanien seine Auslieferung verlangte, von einem deutschen Gericht wurde er nur erstmal freigelassen. Zaklin Nastic, menschenrechtspolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, besuchte ihn dort. Julius Jamal von der Redaktion „Die Freiheitsliebe“ hat mit ihr über Puigdemonts Verhaftung, die Situation in Katalonien und mangelnde Rechtsstaatlichkeit in Spanien gesprochen.
Die Freiheitsliebe: Du hast Puigdemont im Gefängnis besucht, wie kam es dazu?
Zaklin Nastic: Als ich von der Verhaftung Puigdemonts erfuhr, war mir sofort klar, dass man das als politischer Mensch, unabhängig davon, wie man zu ihm und seinen politischen Vorhaben steht, nicht einfach hinnehmen kann. Weder ist „Rebellion“ in Deutschland ein Straftatbestand, noch ist die katalanische Unabhängigkeitsbewegung von Gewalt gekennzeichnet, was auch in Spanien Vorbedingung für eine Verurteilung wegen „Rebellion“ wäre. Zudem haben auch Mitglieder der spanischen Regierung inzwischen zugegeben, dass der Vorwurf an Carles Puigdemont, Gelder veruntreut zu haben, haltlos ist. Puigdemont und andere, gegen die in Spanien nun strafrechtlich vorgegangen wird, sind demokratisch gewählte Politiker. Die spanische Regierung verhindert, dass sie an Sitzungen des katalanischen Parlaments teilnehmen, ihr Wahlrecht ausüben und sich selbst zur Wahl stellen. Dies stellt eine eklatante Verletzung der europäischen Charta der Grundrechte dar. Mithilfe vorgeschobener Gründe werden Puigdemont und andere zudem per europäischem Haftbefehl verfolgt. Das können und dürfen wir nicht hinnehmen!
In meiner Funktion als Abgeordnete des Deutschen Bundestages und Menschenrechtspolitische Sprecherin der Linksfraktion war es für mich zunähst nicht ganz Umstandslos aber dann möglich Carles Puigdemont zusammen mit Diether Dehm im Gefängnis zu besuchen. Ich fand es wichtig, auf die politische Motivation der spanischen Regierung hinzuweisen und darauf, dass sich die Bundesregierung anders als andere europäische Staaten sofort zum willigen Gehilfen gemacht hat. Ein anderer Weg wäre möglich gewesen, das haben wir ja gesehen.
Die Freiheitsliebe: Was hast du dir von dem Treffen erhofft?
Zaklin Nastic: Man muss nicht für eine Abspaltung Kataloniens sein, um diese politisch motivierte Verhaftung zu verurteilen. Das Signal, dass wir als LINKE nicht nur reden, sondern auch zu handeln bereit sind war wichtig. Vor allem aber wollten wir darauf hinweisen, dass Deutschland mit einer Auslieferung gegen den fundamentalen Grundsatz des Auslieferungsrechts, dass Auslieferungen wegen politischer Straftaten nicht zulässig sind, verstoßen würde. Auch der wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat jüngst auf Anfrage der Linksfraktion sowohl den Vorwurf, eine politische Straftat begangen zu haben, als auch die Gefahr, dass der Auszuliefernde politisch verfolgt wird, als Hindernisse für eine Auslieferung benannt. In der öffentlichen Diskussion kamen solche Fakten viel zu wenig zum Tragen. Dem wollte ich durch den Besuch entgegensteuern.
Die Freiheitsliebe: Was hat er in seiner Inhaftierung berichtet?
Zaklin Nastic: Zunächst einmal hat er einen munteren Eindruck auf mich gemacht und wirkte keinesfalls entmutigt. Er hat sich sehr positiv über das Personal der JVA Neumünster geäußert. Zugleich schien er ausgesprochen besorgt, sollte er nach Spanien ausgeliefert werden. Dass ihn dort eine gänzlich andere Behandlung erwarten würde, war ihm – zu Recht – völlig klar:
Spanien wurde erst im Februar vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zum wiederholten Mal verurteilt. Es ging dabei um Misshandlungen von Inhaftierten und darum, dass die spanische Justiz Foltervorwürfen nicht nachgeht. Puigdemont hat keinen Zweifel daran gelassen, dass er bei einer Auslieferung nach Spanien keinesfalls mit einem fairen Prozess rechnen würde. Er hat auch herausgestellt, dass die gegen ihn erhobenen Vorwürfe politisch motiviert sind.
Die Freiheitsliebe: Was denkst du über die Kriminalisierung der katalanischen Bewegung?
Zaklin Nastic: Ich halte das für eines der Hauptprobleme bzw. Haupthindernisse für eine politische und friedliche Beilegung des Konfliktes. Die spanische Zentralregierung hat eine Eskalation der Situation nicht nur zugelassen, sondern sogar befeuert und sie bedient sich Methoden, die eines Rechtsstaats nicht würdig sind.
Anstatt mit der spanischen Regierung zu sprechen und auf eine politische Lösung zu drängen, hat sich die Bundesregierung weggeduckt. Nun hat die Justiz glücklicherweise entschieden, Carles Puigdemont zumindest nicht wegen des vordemokratischen Vorwurfs der „Rebellion“ auszuliefern. Das ist aber eben nicht das Vermächtnis der Bundesregierung, sondern das der Richter. Und um es ganz deutlich zu sagen: die Bundesregierung hat sich eben nicht klar positioniert und gesagt, dass eine Auslieferung politisch Verfolgter unzulässig ist oder dass Bedenken gegen eineAuslieferung an Spanien wegen der dort eingeschränkten Rechtstaatlichkeit durchaus angebracht sind.
Die Freiheitsliebe: Welche Befürchtungen hättest Du bei einer Auslieferung Puigdemonts?
Zaklin Nastic: Da gibt es mehrere Ebenen. Erstens würde der Konflikt zwischen Madrid und den Katalanen dadurch weiter angeheizt. Das ist völlig verantwortungslos und den Ausgang könnte niemand voraussehen. Es wäre an der spanischen Regierung, jetzt nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts Schleswig, endlich einen ernsthaften politischen Dialog zu führen. Man darf ja nicht vergessen, dass ein Autonomiestatut für Katalonien bereits ausgehandelt war und sowohl vom Parlament in Madrid als auch von den Katalanen in Form einer Volksabstimmung angenommen wurde. Erst nachdem das spanische Oberste Gericht 2010 14. Artikel dieses Statuts gestrichen hatte, entstand die katalanische Unabhängigkeitsbewegung. Es ist also nicht das erste Mal, dass die spanische Regierung provoziert und dann mit dem Finger auf andere zeigt. Zweitens stellen die Misshandlungen gegen Häftlinge in spanischen Gefängnissen nicht nur eine reelle Gefahr dar, sondern richteten sich in der Vergangenheit vor allem gegen aus politischen Gründen Inhaftierte, wie z.B. angehörige der ETA. Es muss davon ausgegangen werden, dass auch Carles Puigdemont und seine Mitstreiter solcher Gewalt ausgesetzt wären. Drittens gibt es grundsätzliche Bedenken in Bezug auf Spanien: Die Regierung Rajoy hat die Grund- und Menschenrechte in den letzten Jahren massiv beschnitten. Auch der UN-Menschenrechtsrat hat die fehlende Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit in Spanien moniert. Es gibt inzwischen ernsthafte Zweifel daran, dass die Gewaltenteilung in Spanien noch vollumfänglich gewährleistet ist, die mangelnde Unabhängigkeit der Justiz steht auch in der Kritik.Auch die Äußerungen prominenter spanischer Politiker des Partido Popular säen Zweifel daran, ob Puigdemont in Spanien ein fairer Prozess erwarten würde.
Die Freiheitsliebe: Welche Schritte wird die Linke weiter unternehmen?
Zaklin Nastic: Wir werden uns weiter solidarisch zeigen, denn in unseren Augen müssen Rechtstaatlichkeit und die Einhaltung der Menschenrechte für alle garantiert werden, dieses gilt auch für konservative Politiker wie Carles Puigdemont. Man muss keine Abspaltungsbestrebungen unterstützen, um zu fordern, dass die Grund- und Menschenrechte auch für Separatisten ihre Gültigkeit haben. Ich werde mich außerdem erkundigen, ob Carles Puigdemontin der neuen Situation Hilfe benötigt. Immerhin muss er sich einmal pro Woche bei der Polizei melden und einen Wohnsitz angeben. Während unseres Besuches haben wir ihm zugesichert, sich um eine Wohnung, aber auch um eine Spendensammlung zu kümmern, wenn dies nötig wäre.
Unabhängig davon haben wir als Linke eine aufklärerische Aufgabe. Wir müssen darüber aufklären, was in Katalonien los ist, welche Akteure involviert sind und vor allem, warum es hier auch um wichtige Grundsätze geht, die uns alle betreffen. Mir ist es wichtig, darauf aufmerksam zu machen und darauf politisch hinzuwirken, dass Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und die Einhaltung der Grund- und Menschenrechte fundamentale Voraussetzungen für Politik sind.
Die Freiheitsliebe: Danke dir für das Gespräch.
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Erstveröffentlichung in vor wenigen Tagen „Die Freiheitsliebe“. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers
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Über den Autor: Julius Jamal hat 2009 aus dem Wunsch, einen Ort zu schaffen, wo es keine Grenzen gibt zwischen Menschen, den Blog „Die Freiheitsliebe“ gegründet. Einen Ort an dem man sich mitteilen kann, unabhängig von Religion, Herkunft, sexuelle Orientierung und Geschlecht. Freiheit bedeutet immer die Freiheit von Ausbeutung. Als Autor dieser Webseite streitet er für eine Gesellschaft, in der nicht mehr die Mehrheit der Menschen das Umsetzen muss, was nur dem Wohlstand einiger Weniger dient.
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