Frank Burkhard
Im Jahr des roten Wolf
Frank Burkhard
„Kunst ist Waffe!“ lautet ein vielzitierter Satz von Friedrich Wolf, zugleich der Titel seiner Broschüre von 1928. Aber er meinte auch, Kunst sei „Scheinwerfer und Waffe“. Denn das Anliegen des Dramatikers und Prosaautors, der sich von Beginn an den Unterprivilegierten verbunden fühlte, war, die Probleme nicht nur zu benennen, sondern sie ins rechte Licht zu rücken, zu diskutieren. Das hieß bei ihm: die Theaterbühne, aber auch der Film. Der durch die Wandervogel-Bewegung geprägte Arzt Friedrich Wolf, der in Hechingen und Remscheid praktizierte und hier mit sozialen Missständen konfrontiert wurde, vertrat vehement lebensreformerische Ansichten, die in das Buch „Die Natur als Arzt und Helfer“ mündeten, das vor einigen Jahren eine Neuauflage erlebte. Auch seine erste Filmidee von 1924 griff die Gedanken der Hinwendung zur Natur auf. Nach Wolfs Idee entstand der Ufa-Film „Wege zu Kraft und Schönheit“, ohne seinen Namen zu nennen.
Filmplakat „Cyankali“, der inszenierung von Hans Tintner, 1930
Neben Brecht war Wolf in den zwanziger Jahren der meistgespielte Autor von Zeitstücken auf deutschen Bühnen. Aufsehen erregte sein Drama „Cyankali“, das sich für die Abschaffung des § 218 stark machte. Er erzählt von dem noch unverheirateten Arbeiterpaar Hete und Paul, das in der Weltwirtschaftskrise unter unmenschlichen Bedingungen in einer Mietskaserne zusammenhaust und sich kein Kind leisten kann. Als Hete doch schwanger wird, versucht sie alles, um das Kind nicht bekommen zu müssen. Wolf gelingt es, die verzweifelte Situation eindrucksvoll und dramatisch zu schildern. Das Stück, das bis heute aktuell geblieben ist, wurde damals an vielen Bühnen gespielt und an ebenso vielen verboten. Gleiches gilt auch für den Film „Cyankali“, den der Österreicher Hans Tintner in der Übergangszeit vom Stumm- zum Tonfilm 1930 teils noch ohne Ton inszenierte. Mehrfach musste der Streifen der Zensur vorgelegt werden, die neue Änderungen verlangte. Schauspieler, die heute legendär sind, wirkten in Charakterrollen, darunter Grete Mosheim und der Russe Nico Turoff als das junge Paar, Margarete Kupfer, Paul Henckels, Paul Kemp und Blandine Ebinger. Auch, wenn Wolf nicht glücklich mit dem Endergebnis war, hatte der Film doch viel Aufmerksamkeit und ist auch heute noch ein bewegendes Zeitdokument.
In Zusammenarbeit mit dem Potsdamer Filmmuseum erschien schon vor einem Jahr eine sorgfältige DVD-Edition des historischen Films. Mit dabei eine neue Adaption des Stücks durch das DDR-Fernsehen von 1977 durch Jurij Kramer. In der DDR war damals im Gegensatz zur BRD der § 218 nicht mehr in Kraft. Kramer kürzte das Stück geringfügig und besetzte in den Hauptrollen wiederum die erste Garde der damaligen DDR-Schauspieler: Renate Krößner und Hermann Beyer als Hete und Paul, Ursula Braun, Horst Hiemer, Marianne Wünscher und das Schauspieler-Ehepaar Annekathrin Bürger und Rolf Römer. Zu den Extras der Edition gehört eine von Dr. Karl-Heinz Gerstner geleitete Diskussionsrunde um das Thema, bei der auch ausgesprochen wurde, dass das Fernsehspiel sich gerade an die Zuschauer im anderen deutschen Staat wendet.
Wegen des nach wie vor geltenden Abtreibungsparagraphen wird „Cyankali“ auch im neuen Jahrtausend noch ab und an aufgeführt, genau wie Wolfs Drama „Professor Mamlock“, das den Beginn der Judenverfolgung 1933 thematisiert und 1934 in jiddischer Sprache uraufgeführt wurde. Zumindest der DEFA-Verfilmung durch Friedrich Wolfs Sohn Konrad von 1961 kann man gelegentlich noch im Fernsehen begegnen. Gleiches gilt nicht für Wolfs Revolutionsstück „Die Matrosen von Cattaro“, das einst auf vielen Spielplänen stand und von Thomas Langhoff verfilmt wurde. Umso erfreulicher, dass es jetzt im ehemaligen Friedrich-Wolf-Theater in Neustrelitz wieder inszeniert wurde. Damit wird auch des Friedrich-Wolf-Jahres gedacht, denn im zweiten Halbjahr jähren sich der Todestag des Arztes und Dichters zum 65. und der Geburtstag zum 130. Mal. Die historischen Ereignisse, die das Stück behandelt, liegen genau 100 Jahre zurück. Wolf war durch die Erlebnisse als Arzt an der Front zum entschiedenen Kriegsgegner geworden und in der Novemberrevolution Mitglied des Arbeiter- und Soldatenrates in Dresden.
»Vorwärts an Geschütze und Gewehre, auf Schiffen, in Fabriken und im Schacht …«
Foto: www.tomschweers.de
In seinem Stück von 1930 griff Wolf auf eigene Erfahrungen zurück und schildert das Scheitern einer revolutionären Situation auf der „St. Georg“, einem
Kriegsschiff der k.u.k-Marine im Februar 1918. Unzufriedenheit mit der endlosen Kriegssituation, schlechtes Essen, Schikanen der Offiziere, Sehnsucht nach der Familie treiben auch die Besatzungen anderer Schiffe zum Aufbegehren. „Friedrich Wolf hat die Nüchternheit zu sagen, daß nicht der erste Tag einer Empörung entscheidend ist, sondern der zweite und dritte. Nicht der Überraschungssieg, sondern das Behaupten der Stellung“, schrieb Herbert Ihering bei der Berliner Premiere 1930. Der Maat Franz Rasch übernimmt mit Elan, aber ohne ausreichende theoretische Kenntnisse die Führung der Revolte. Letztlich kann er die widerstreitenden Meinungen der Matrosen nicht einen, so dass er mit denen, die zu ihm halten, scheitert.
Wolfgang Bordel, langjähriger Intendant in Anklam und bisher seit einigen Jahren auch Oberspielleiter in Neustrelitz/Neubrandenburg, hat als seinen Abschied von Neustrelitz das selten gespielte Stück auf die Bühne gebracht. Dass der Autor sich auf Marxsche Theorien bezieht, die rote Fahne auf der Bühne hissen lässt und ein Versprechen auf einen neuen Aufstand gibt („Kameraden, das nächste Mal besser!“), hat einige Neustrelitzer irritiert und die Theaterleitung bewogen, nur fünf Vorstellungen anzusetzen. Künstlerisch ist die Inszenierung gelungen: ein nicht allzu idealisiertes Szenenbild auf der Drehbühne (Jörg Masser), viele souveräne Schauspieler, darunter Marco Bahr als Franz Rasch, Fabian Quast, Thomas Pötzsch und Michael Kleinert. Fast genial ist Bordels Idee, in das Männerstück mit der Rolle von Franz Raschs Schwester Ruth (Josefin Ristau) eine Frau einzufügen, die einerseits die Sehnsucht nach Gemeinsamkeit in der Heimat und andererseits die Solidarität der Angehörigen mit den aufs Kriegsende drängenden Matrosen transportiert.
In der Uraufführung spielte übrigens kein geringerer als Ernst Busch den Franz Rasch. So lässt Bordel auch von Busch bekannte Lieder anstimmen, die zwar aus anderen historischen Situationen stammen, aber gut zur Atmosphäre passen: Der Song von der Jarama-Front setzt den Schlusspunkt. Zuvor wurde schon vor der Pause das Lied der Matrosen von Kronstadt gesungen: „Tragt über den Erdball, tragt über die Meere die Fahne der Arbeitermacht!“ Der Premierenapplaus war tosend.
Doch hinter vorgehaltener Hand wurde auch gefragt: Wieso muss hier ein Stück des Vaters von Markus Wolf, einer mehr als zwielichtigen Gestalt der deutschen Geschichte, gespielt werden? Ist das die Forderung nach Sippenhaft? „Da bleibt einem die Spucke weg!“, meinten zur Premiere angereiste Berliner. Auch zur Uraufführung gab es unterschiedliche Meinungen, wie Ihering berichtete. „Viele Zuschauer befehdeten sich untereinander, weil sie die Fragen des Stücks verschieden beurteilten. Eine schlechte Wirkung? Eine gute Wirkung!“ Das war 1930. Heute genügt es, wenn einem der Sohn des roten Dichters nicht gefällt. Drum schnell nach Neustrelitz, um sich eine eigene Meinung zu bilden!
Cyankali, Regie Hans Tintner (1930) und Cyankali, Regie Jurij Kramer (1977), arte-Edition bei absolut Medien, 24,90 Euro.
Die Matrosen von Cattaro, Landestheater Neustrelitz, letzte Vorstellungen 3.Mai 10.00 Uhr, 4. Mai 10.00 Uhr und 19.30 Uhr.
Dieser Artikel erschien vor ein paar Tagen in Das Blättchen. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Bilder und Bildunterschriften wurden von der Redaktion AmericanRebel hinzugefügt.
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