Die Kurve kriegen!
Wolfgang Honold
Ich hätte es mit meinen, heute 85 Jahren, in meiner Lebensrückschau früher niemals für möglich gehalten, dass ich diese (die Kurve) einmal kriegen würde. Ich habe ja auch sehr lange dazu gebraucht. Wenn ich Euch jetzt im Einzeln darlege, worauf ich das beziehe, werde ich von einigen sicher gelobt, bewundert – wenn nicht gar beneidet – , von anderen – leider sicher nicht wenigen – belächelt, ausgelacht, verspottet, beschimpft – wenn nicht gar beleidigt. Also muss ich jetzt erst mal wieder die Kurve kriegen, mit „der Sprache rauszurücken“. Aber an Mut hat es mir ja noch nie gefehlt:
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Erste Kurve: Ausstieg aus ALKOHOL
Dieser war bei unseren Eltern und deren Verwandten, Freunden, Bekannten und Unbekannten in Deutschlands Trümmerlandschaft HOCHKULTUR. Meinen ersten Vollrausch hatte ich als „Drei-Käse-hoch“ mit ca. 4 Jahren bei einer Silvesterfeier 1940 als meine „großen Vorbilder“ die große Stube verlassen hatten, um auf der Veranda das himmlische Feuerwerk zu bewundern. Das war für mich der Moment, all die halbleeren Gläser mit Champus, Wein, Cognac und herrlich süßem Eierlikör zu leeren. Ein echter Fall für die Notfallaufnahme im nächsten Krankenhaus. Wer nach 1945 bei uns als Gymnasiast oder handwerklicher Lehrling keinen Bierhumpen in einem Zug leeren konnte, war kein Mann. Es hieß einfach: DUMMHEIT FRISST, INTELLIGENZ SÄUFT. Damit war doch alles klar, oder nicht?
Ich hatte nie eine Tanzschule besucht, aber nach 3 „double shots of Jack Daniels on the rocks“ konnte ich alle Tänze. Viele meiner Liebschaften wären ohne, so was wahrscheinlich nie zustande gekommen. Wieviele von solchen habe ich mir „einfach schöngetrunken“. Auf die Art kommste als Mann immer auf deine Kosten. Wären da nicht die verdammten wüsten Kater gewesen, die dich für eine gewisse Zeit „aus dem Verkehr ziehen konnten“. Dir sogar deinen Job kosten konnten. Auch da spreche ich aus Erfahrung. Das erste Mal in Köln, wo ich nach meiner internationalen Ausbildung als vielsprachiger Hotelkaufmann, nach frechem Auftritt endlich mit erst 19 den Job als Barchef im „Pigalle“, dem Luxus-Nachtlokal von Blatzheim, wo auch die Stahlbarone aus Düsseldorf verkehrten, als mein Vorgänger, der 40jährige Charly unter „übertriebenem Alkoholkonsum“ mehrfach zusammenbrach, bekam. Das ging mit zwölf Animierdamen erster Sahne, zwei Jahre lang gut. Dann ereilte auch mich Charly’s Schicksal. hier geht es weiter »
Ziemlich „abgebrannt“ setzte ich mich in den Zug nach London. Dort suchte eine, damals sehr bekannte, Reisefirma einen „vielsprachigen Kulturreiseleiter“ für ihre Gruppen aus Übersee, wie USA, Kanada, Australien, Neuseeland, usw., die das nötige „Kleingeld“ hatten, um die west- und südeuropäischen Länder und deren Sehenswürdigkeiten kennen zu lernen. Beim Seminar in London entschied der Big Boss, dass ich der richtige Mann dafür sei. Und das war ich auch etwa vier Jahre lang. Es gab sogar Leute, die nach Ende der einmonatigen Tour auf meiner nächsten Tour wieder gebucht waren. Bei denen hieß Vergnügen BIG FUN, und das bekamen sie von diesem „crazy guy“, den sie einfach „Donald“ nannten. Das ging so lange gut – ja sogar sehr gut – bis auf der letzten Reise in Florenz dringend ein Ersatzreiseleiter einspringen musste, weil ich von Gangstern ausgeraubt mit verdammt viel zu viel „Vecchia Romagna“ (ital. Cognac) im Bauch auf dem Polizeiposten festgehalten wurde. Also aus der Traum. Aber das führte zu meiner Umschulung zum vielsprachigen welterfahrenen und in der Folge weltweit tätigen Industriekaufmann mit schweizerischer Einbürgerung und einer vorehelichen Beziehung mit einer Dame aus der höheren – hochbetuchten – Aristokratie. Mein Glück war, dass ich nicht mehr erleben musste wie selbige an Alkohol elendiglich „krepiert“ ist. Ich war da bereits mit einer Portugiesin verheiratet und bin es heute noch, die von Alkohol rein gar nichts hielt. Ihr hochintelligenter, sehr sympathischer Bruder, der ein sehr guter Freund von mir wurde, ist Jahre danach an derselben „Krankheit“ verstorben. Man glaubt, dass dabei die „Gene“ eine Rolle spielen könnten. Wer kennt schon sein Gene? Wer kann schon sagen, in welchem Moment der „Kippschalter“ im Suchtkern des Gehirns in „Akoholsucht, bzw. Krankteit“ umkippt, für die Heilung höchstens für 3% der davon Befallenen ohne Rückfälle besteht. Davon sind Millionen von Menschen, in praktisch allen Ländern dieser Erde, betroffen. Viele überleben es allerdings auch. Sie altern einfach früher. Man sieht sie als wandelnde Schrotthaufen hinter einem Rollator hinterherhumpeln, sofern sie das noch können. Aber gäbe es diese treuen Konsumenten nicht, wie viele Millionen Menschen wären dann arbeitslos? Bei den Weinbauern, den Bierbrauern, der Pharma-Industrie, in der medizinischen Dienstleistung, der Zulieferindustrie für alle die Branchen, in der Gastronomie! Die Politik ist zwar für die Gewährleistung der Volksgesundheit verantwortlich. Aber auch auf Kosten eines so grossen Teils der Volkswirtschaft? Da „liegt doch der Haas im Pfeffer“. Da muss doch einfach jeder selber sehen wo er bleibt. Er muss sein eigener Entscheidungsträger sein. Jedenfalls war für mich das Thema vor gut 40 Jahren ziemlich plötzlich erledigt. Nach meinem letzten üblen Kater sagte mein Spiegel unüberhörbar zu mir: SO JETZT REICHTS. HÖR AUF MIT DER SCHEIßE, SONST BRAUCHST DU MICH NICHT MEHR ANZUSEHEN! Das erste Mal, dass ich ihn ernst genommen habe. Es war nach einer Weile wie eine NEUGEBURT, aber in eine irgendwie andere Welt mit anderen kulturellen Vorstellungen. Dazu verstärkend kam:
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Die zweite Kurve: Ausstieg aus dem NIKOTIN und dem furchtbar giftigen Tabakteer
Das liegt jetzt auch schon wieder gut 30 Jahre zurück. Wäre mir das nicht auch geglückt, gäbe es mich schon lange nicht mehr. Kein Witz! Die erste Woche danach ging es mir ausgesprochen schlecht und mein Hausarzt meinte, ich sei verrückt, von einem Moment auf den anderen endgültig von bis 3 Päckchen pro Tag auf Null abzusteigen. Das sei echt gefährlich. ABER ANDERS HAT MAN NULL CHANCEN DAVON LOSZUKOMMEN. Ergo habe ich dann noch zwei Jahre lang schwedische Nikotinkaugummis gelutscht. Auch hier hatte mir mein Spiegel gesagt: ICH WILL DICH ARSCHLOCH HIER MIT KEINER ZIGARETTE IM MAUL MEHR SEHEN. Auf meine Weltsicht hatte diese Maßnahme keinen Einfluss, aber auf meine Gesundheit und mein Wohlbefinden. Nicht zu glauben WAS FÜR EIN UNTERSCHIED! Und wieviel Geld auch hier gespart wurde! Den Alkoholverzicht mitgerechnet, konnte das leicht einmal einer Leasingrate für einen Wagen der gehobenen Mittelklasse entsprechen. Meiner „geistigen Gesundheit“ hat folgende Maßnahme gut getan, die ich sehr lange vor der „ersten und zweiten Kurve“ ergriffen hatte, und zwar:
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Dritte Kurve: Austritt aus einer mit Geburt aufgezwungenen KONFESSIONSZUGEHÖRIGKEIT
Hier möchte ich nicht deutlicher werden. Sollte ja egal sein, welche das war. Ausserdem respektiere ich Leute, die eine solche Maßnahme nicht ergriffen haben und dies auch nicht im Sinne führen. Dies setzt jedoch voraus, dass diese meine für mich getroffene Entscheidung auch respektieren. „Wie du mir, so ich dir“. Das war aber alles noch nicht alles. Da kam kürzlich – vor ca. zwei Jahren – noch eine letzte Kurve dazu, die ich auch noch gekriegt habe, nämlich:
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Vierte Kurve: Endgültiger Ausstieg aus dem „fast food“ Konsum
Wie das aussieht muss ich Euch hier schon genau erklären, denn die Methode ist durchaus nachahmenswert: drei Mal in der Woche zerstückle ich mit einem scharfen Messer alle Wurzelgemüse, deren ich habhaft werden kann. Um nur einige Beispiel zu nennen: Broccoli, Zucchetti, Paprika, Sellerie-Knollen und/oder Stangen, Süsskartoffel, ein Apfel, Weiss- oder Blaukohl, Fenchel, Randen, Karotten, grosse Gemüsezwiebel, Tomaten und was sonst noch. Gewürzt wird das ganze mit Salz, Pfeffer, Korkuma zus. mit Honig (grösster Entzündungshemmer, den es gibt), und mit ganz fein geschnittenen Genever-Wurzeln. Mit wenig Wasser ca. 15 Minuten in Dampf gegart und nach Abkühlen mit reinem Olivenöl getränkt. So, das ist nun Hauptbestandteil meiner 2 Mahlzeiten pro Tag, d.h. morgends und abends. Dazu kommt immer ein kremiger Speisequark, Oliven und abwechselnd wahlweise Fleisch aller Gattungen oder Fisch, max. 10% zum Gemüseanteil. Nicht mehr in Frage kommt alles, was aus Getreide entsteht, wie Brot, Kuchen, Nudeln. Früher hätte ich das, bzw. den Verzicht für unvorstellbar gehalten. Jedoch hat es mein früheres Übergewicht nach einer längeren Weile absolut nachhaltig von ca. 80 kg auf 63 kg bei kleiner Körpergrösse von 1,66 m gesenkt und alle meine Blutwerte in den grünen Bereich versetzt. Mit meinen 85 fühle ich mich heute wie mit 65. Mit meinem Konterfei, s. Bild unten, kann ich sicher auch einigermassen zufrieden sein. Meinen Kamm habe ich weggeworfen. Den musste ich vormals immer überall suchen. Ich kann es selber fast nicht glauben. Meinen schweizerischen „Führerausweis“ (entspricht „Führerschein“ der BRD) habe ich erst kürzlich nach der verkehrsmedizinischen Untersuchung, die bei uns für ab 70-jährige alle zwei Jahre stattfindet, für die kommenden zwei Jahre wieder ohne irgendwelche Auflagen erhalten. Und das ist auch gut so, denn ich brauche meinen alten Cabrio, um im Kanton Zürich im Auftrage eines bekannten Lehrinstitutes in meinen 6 von 10 Sprachen Nachhilfeunterricht (meistens Präsenzunterricht) erteilen zu können. In den dankbar strahlenden Augen meiner Schüler und Schülerinnen „sehe ich für mich den Sinn des Lebens“. Merkwürdig – und schwer zu verstehen – ist die Tatsache, dass ich mit meinem eigenen Wagen mit diesem „behördlich absolut als gültig anerkannten Führerausweis“ in der ganzen Welt fahren darf. Nur einen Mietwagen darf ich nicht mehr fahren. Die Vermieter geben Dir ab 75 keinen mehr. Nun, keine Sorge, „die können mich mal“! Ich habe mir den gleichen Wagen nochmals angeschafft und werde diesen im Frühjahr 2022 die 2200 km von Zürich nach Lissabon in 18 reinen Fahrstunden mit einer Übernachtung ca. 100 km vor Madrid fahren und in Portugal stehen lassen. Für die Heimreise per Flug entnehme ich dort das Nummernschild und stecke es in Zürich auf den anderen Wagen. Bei uns in der Schweiz ist das seit langem erlaubt. Wir dürfen abwechselnd mit ein und demselben Fahrzeugnummernschild 2 Motorfahrzeuge fahren. Meine Familie und ich, wir sind eben alle auch noch portugiesische Staatsbürger. Man wird uns dort die Einreise nie verweigern.
So, jetzt mag es den ein oder anderen zum Schluss noch interessieren, mit „welchen Augen“, mit welcher Gesinnung so ein Mann die Welt sieht, in welcher dieser plötzlich auf all die irrsinnig schönen Genussmittel, die uns geboten werden und die schon viele Generationen vor uns zu unverzichtbaren „Kulturgütern“ erhoben haben, einfach freiwillig verzichtet. Die Frage stellt sich leicht. Die Antwort fällt schwer.
Wenn ich früher zum Beispiel in Südfrankreich auf Landstraßen entlang endloser Weinrebenfelder fuhr, konnte ich mich an so einer Landschaft ergötzen. Das fällt mir heute eher schwer. Wenn mir heute ein Bekannter oder ein Freund sagt: „Ja toll, darauf müssen wir gleich mal einen trinken“, dann muss ich antworten: „Ja, aber für mich nur grünen Tee“. Daraus entsteht kein angenehmes Gespräch, denn die Gegenfrage lautet: „Wieso? Hast du etwa ein Problem mit Alkohol“? Wenn ich dann antworte: „Nein, kann ich doch gar nicht haben, wenn ich doch keinen trinke“. Das kommt meist nicht so gut an. Gut, für Nichtraucher wird inzwischen grösseres Verständnis gezeigt. Schwierig und sehr kritisch kann’s bei religiösen Ansichten werden, denn ich habe festgestellt, dass Gläubige anscheinend nicht für sich alleine glauben können. Sie brauchen Menschen um sich, die das gleiche mitglauben. Das ist einem Atheisten wie mir einfach „nicht gegeben“. Mein Leben ist – ohne Vordenker zu haben – sicher nicht als leichter anzusehen, aber es ist faktisch und objektiv freier. Und es ist – wie manche jetzt vermuten mögen – keinesfalls ASKETISCH. Es ist einfach ein bisschen anders. Ich komme klar damit. Und auch mit grosser Gelassenheit damit, was nach meiner Ansicht diesem Leben für jeden von uns ohne Ausnahme folgen wird: „Einfach eine im physikalisch-chemischen Sinne erfolgende Aggregatszustandsänderung unseres Organismus mit einhergehendem totalen Verschwinden jeglicher Empfindungsaufnahme und deren Verarbeitung“. Fazit: Ein für meine Begriffe echter ewiger paradiesischer Zustand. Wie man davor Angst haben kann, ist mir ein Rätsel und wird es, solange ich noch lebe, bleiben. Ende der Durchsage. Mit Dank an den geduldigen verständnisvollen Leser, dem ich gerne Rede und Antwort stehe.
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