Heinrich Schreiber
Niederbayern: „Die Erntearbeiten können aber unter strengen Hygieneauflagen fortgesetzt werden.“ (Landratsamt Dingolfing-Landau)
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Heinz Michael Vilsmeier
Mindestens 174 von 450 Erntearbeitern eines landwirtschaftlichen Betriebes in Mamming im Landkreis Dingolfing-Landau sind am Freitag positiv auf SARS CoV 2 getestet worden. Erntearbeiter, Mitarbeiter und Betriebsleitung, insgesamt 480 Personen, sollen unter Quarantäne gestellt worden sein. Weitere Schritte sollen folgen, sobald die Ergebnisse einer Reihentestung vorliegen.
„Die Erntearbeiten können unter strengen Hygieneauflagen fortgesetzt werden.“ verkündete das Landratsamt Dingolfing-Landau.
Landrat Werner Bumeder gibt sich gelassen: „Der Landkreis Dingolfing-Landau sei auf derartige Situationen vorbereitet und könne deshalb rasch und effektiv reagieren.“ In der Mitteilung des Landratsamtes wird Bumeder mit den Worten zitiert: „Wir haben alle notwendigen Maßnahmen in enger Abstimmung geplant und sofort umgesetzt…“
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Gurkenerntemaschine in Mamming. Bild: YouTube
Der Betrieb in Mamming ist nicht der einzige in Niederbayern, der hunderte Erntearbeiter aus den Risikogebieten des Balkans beschäftigt. Teilweise werden ganze Familien von Erntearbeitern auf äußerst engem Raum, in übereinander gestapelten Containern und unter entsprechend problematischen hygienischen Verhältnissen beherbergt. Angesichts dieser Umstände erstaunt die Äußerung Bumeders: „Die Erntearbeiten können aber unter strengen Hygieneauflagen fortgesetzt werden.“ – Landrat Bumeder tut gerade so, als gäbe es nichts Wichtigeres, als das Abernten von Gurken. Man muss sich fragen: Warum? – Möglicherweise hat Landrat Bumeder den medialen Knall nicht gehört, den die Masseninfektion bei Tönnies ausgelöst hat. Was, wenn sich herausstellen sollte, dass der von Bumeder verbreitete Optimismus völlig fehl am Platz ist!? – Wieso sollten die Erntearbeiter in dem Betrieb in Mamming die einzigen sein, unter denen das Corona-Virus derart grassiert?
Bayern ist das Paradies!“, verkündete einst Horst Seehofer auf dem Parteitag seiner CSU im Dezember 2017. Wie dieses Paradies aussieht, daran hat sich seither, zumindest für Erntearbeiter, nichts geändert. – Das Seehofer damit demagogisch übertrieben hat, ist schon klar. Doch wenn man sich die Arbeit der osteuropäischen Galeerensklaven und -sklavinnen in den niederbayerischen „Gurkenfliegern“ anschaut, wird einem klar, dass Seehofer wohl die Großbauern in den niederbayerischen Gurkenanbaugebieten adressiert hat. Für die „Fremdarbeiter“, wie die osteuropäischen Wanderarbeiter früher und im Volksmund noch immer genannt werden, ist Seehofers Aussage sicherlich nicht gerade zutreffend.
Das Wort „Sauregurkenzeit“ hat seit dem 18ten Jahrhundert mehrere Umdeutungen erfahren. Zuletzt wurde es in der Publizistik für die nachrichtenarme Zeit in den Sommerwochen verwendet. In Niederbayern, dem größten europäischen Anbaugebiet für Gurken, steht „Sauregurkenzeit“ für die Monate von Juni bis September, in denen sog. Gurkenflieger mittels Traktoren über ausgedehnte Gurkenfelder geschoben werden. – Um Erntemaschinen im engeren Sinne handelt es sich dabei nicht. Vielmehr sind es monströse Stahlgestelle, in denen „Arbeitskräfte aus Osteuropa“ (PNP) auf dem Bauch liegend, mittels eines Traktors, der gleichzeitig einen Anhänger zieht, über die abzuerntenden Felder bewegt werden. Dabei pflücken sie Gurken im Akkord und werfen diese auf ein Förderband, über das die geernteten Früchte in einen Anhänger gelangen. Das Tempo des Pflückens wird vom Traktoristen bestimmt.
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Moderne Sklaven. Bild: Jo Bolinger. Quelle: YouTube
Die tägliche Arbeitszeit dauert von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, auch an Wochenenden. Solange liegen die „osteuropäischen Erntearbeiter“, egal ob es regnet oder ob Außentemperaturen bis zu 38 Grad herrschen, auf mit Schweiß getränkten Schaumstoffmatrazen, welche Saison für Saison wiederverwendet werden. Bis zu 30 Männer und Frauen schuften wie Galeerensklaven und -sklavinnen in diesen monströsen Ernteapparaten, 15 in jedem der durch eine Plane gegen die Witterung und vor allem gegen Blicke abgeschirmten Flügel. – In der Tat erinnern diese Konstruktionen an Galeerenschiffe. Der Unterschied zu diesen ist eher vernachlässigbar, er besteht darin, dass die Menschen in den Gurkenfliegern als Lohnarbeiter bezeichnet werden. Die Löhne in dieser Branche lagen in den letzten Jahren zwischen 2,5 und 5,- Euro – Frauen wurde „selbstverständlich“ weniger bezahlt – wir kennen das ja.
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