Die schriftliche Urteilsbegründung
im NSU-Prozeß liegt endlich vor .
Nach knapp zwei Jahren(!) ist die schriftliche Urteilsbegründung im NSU-Prozeß den Nebenklageanwälten- und anwältinnen sowie den betroffenen Angehörigen zugestellt worden, eine allgemeine Bereitstellung der Urteilsbegründung für die interessierte Öffentlichkeit im Internet scheint nicht vorgesehen.
Zumindest gibt es auf der Seite des OLG München keine entsprechende Veröffentlichungsanzeige, was den Eindruck an der über weite Strecken kritikwürdigen Verhandlungsführung verstärkt, daß eine wesentliche direkte und indirekte Verstrickung des Staates und seiner „Dienste“ vertuscht, der Öffentlichkeit ein wirkliches Nachvollziehen der umstrittenen Beweiswürdigung im Prozess nicht ermöglicht und zugunsten der bundesdeutschen Staatsräson generell eine wirkliche Aufklärung dieser beispiellosen rassistischen Mordserie verhindert werden soll. Darunter leiden vor allem die Angehörigen noch heute. Mehrere Angeklagte wurden unmittelbar nach Verkündung des Urteils auf freien Fuß gesetzt und mischen heute wieder fröhlich im braunen Milieu mit, Spitzel und Kollaborateure im Staatsdienst wurden – trotz nachweislicher Verstrickungen und erdrückender Beweislast – nie zur Rechenschaft gezogen! Oder wie sagte 2012 der damalige Staatssekretär im Bundesinnenministerium und spätere Staatssekretär im Bundeskanzleramt, Klaus-Dieter Fritsche: „Es dürfen keine Staatsgeheimnisse bekannt werden, die ein Regierungshandeln unterminieren“*…die braune Kontinuitätslinie nach 1945 zieht nicht nur auf der Straße immer fettere Spuren, sondern ist auch strukturell in den staatlichen Institutionen, ungebrochen.
Im Anhang leite ich Euch die öffentliche Erklärungen von Elif, Witwe des ermordeten Mehmet Kubaşık, und den AnwältInnen der Familienangehörigen, daneben nochmal die Rede der Chile Freundschaftsgesellschaft Berlin weiter, die wir vor zwei Jahren in München anläßlich der Urteilsverkündung gehalten haben. Darin wurden bereits damals knapp die wesentlichen Kritikpunkte umrissen, an denen die fünfeinhalbjährige Prozessfarce vor dem OLG krankte.
* = Klaus-Dieter Fritsche vor dem NSU-Untersuchungsausschuß des Bundestags in Berlin, 18.10.2012
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Anhang der Redaktion:
Buchbesprechung: Thomas Moser – NSU: Die doppelte Vertuschung
Schauplätze und Schlüsselfälle, offene Fragen, Widersprüchliches und Grundsätzliches
eBook
• Heise Medien
• ISBN (epub) 978-3-95788-085-7
• April 2017
• ca. 170 Seiten
• 7,99 €
Der NSU-Komplex gleicht einem wachsenden Gebirge. Er umfasst inzwischen Millionen Aktenseiten. Jede Woche kommen hunderte neue dazu. Immer noch finden Ermittlungen und Zeugenvernehmungen statt. Zig Untersuchungsausschüsse arbeiten parallel und produzieren Zeugenprotokolle um Zeugenprotokolle und Abschlussberichte wie aktuell den des NRW-Ausschusses mit über 1000 Seiten. Tausende von Zeugen sind auf irgendeine Weise involviert, Namen über Namen. An Dutzenden von Tat- und Ereignisorten spielt sich die Geschichte ab. Der Prozess in München und die parlamentarischen Untersuchungsausschüsse zählen dazu, immer neue Handlungsebenen ergeben sich. Das Irritierende sind die gegenläufigen Bewegungen: Je mehr man weiß, desto undurchschaubarer wird alles.
Die Geschichte des NSU-Mordkomplexes ist die einer doppelten Vertuschung. Zuerst, vor dem 4. November 2011, sollten die Täter nicht gefunden werden. Dann, nach dem Auffliegen des NSU am 4. November 2011, sollen es nur zwei Männer gewesen sein, denen eine Frau geholfen hat. Doch die Erkenntnis nach über fünf Jahren Anstrengungen Dutzender von Anwälten, Journalisten, Abgeordneter und auch einigen wenigen Polizisten, Licht ins Dunkel zu bringen, ist: Die offizielle Version stimmt nicht. So, wie es die Bundesanwaltschaft darstellt, war es nicht. Nur: Wie es war, das kann bisher nicht dargestellt werden.
In diesem Buch berichten wir über den NSU, über ausgewählte Schauplätze und Schlüsselfälle, offene Fragen, Widersprüchliches und Grundsätzliches. Es sind Beiträge für die ausstehende alternative Narration des „NSU“. Sie wurden zum großen Teil bereits auf Telepolis online veröffentlicht und für dieses Buch noch einmal überarbeitet.
Thomas Moser, Jahrgang 1958, Journalist und Politologe, hat den NSU-Komplex von Anfang an beobachtet und die parlamentarischen Untersuchungsausschüsse und den Zschäpe-Prozess in München besucht. Er war im Untersuchungsausschuss von Baden-Württemberg Sachverständiger.
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