Nach dem Tode Engel war es Bernstein, der die schleichende Verpreußung der SPD angriff. Die SPD müsse „sich rückhaltlos, auch in der Doktrin, auf den Boden des allgemeinen Wahlrechts, der Demokratie“ stellen, „mit allen sich daraus für ihre Taktik ergebenden Konsequenzen“. Im Zentrum der von ihm propagierten Aufgabenstellung sah er die Durchsetzung der parlamentarischen Herrschaft durch den Reichstag sowie die Abschaffung des preußischen Dreiklassenwahlrechts. Wegen dessen Bedeutung für die fortdauernde Vorherrschaft des Junkertums gehörte er mit Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg zu den entschiedensten Befürwortern des politischen Massenstreiks, um eine Wahlrechtsreform in Preußen zu erzwingen.
Karl Marx hatte Ende 1846 in einem Brief an Pawel W. Annenkow darauf hingewiesen, daß „das Kleinbürgertum ein integrierender Bestandteil aller sich vorbereitenden sozialen Revolutionen sein wird“ (MEW 4:557;vgl. MEW 18:633). Wenn man diese Feststellung ernst nahm – was folgte daraus für das Revolutionskonzept?
Die Antworten, die Bernstein selber gab, waren für eine revolutionäre Arbeiterpartei untauglich. In seinen Überlegungen wurde die Demokratie zum Selbstzweck statt zu einer Etappe auf dem Weg zum Sozialismus, und es ging unter, daß die Vollendung der bürgerlichen Revolution nur möglich war, wenn das Proletariat im Bündnis mit dem Kleinbürgertum die Führung übernahm. Außerdem propagierte er die demokratische Umgestaltung der Gesellschaft durch friedliche Reformen und negierte, daß das junkerlich-schwerindustrielle Herrschaftskartell sich mit allen Mitteln gegen seine Entmachtung zur Wehr setzen würde.
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Bebel für die Übernahme des „Junkerstaats“
Die zunehmende Integration der Arbeiterpartei in die Militärmonarchie wurde insbesondere durch den Parteivorsitzenden Bebel verkörpert. Er formulierte auch die Schlußfolgerungen, die sich daraus für die Staatsfrage ergaben. Gegen die süddeutschen Reformisten gerichtet, führte er auf dem Magdeburger Parteitag der SPD 1910 aus:“Es gibt keinen zweiten, dem preußischen ähnlichen Staat, aber wenn wir einmal diesen Staat in der Gewalt haben, haben wir alles.(…) im Süden versteht man nicht diesen Junkerstaat in seiner ganzen Schönheit.“ (Parteitagsprotokoll 1910:250). Im gleichen Atemzug wies er darauf hin, daß er ähnliche Aussagen schon mehrfach getätigt habe.
Die Betonung der Einzigartigkeit des preußischen Junkerstaats verweist darauf, daß dieser Staat, anders als der bürgerliche Staat in Frankreich oder Großbritannien, nicht von der Bourgeoisie beherrscht war und der industriellen Arbeiterschaft deshalb in höherem Maße entgegenkommen konnte, wie das die Sozialversicherungen unter Beweis stellten. Davon abgesehen verfocht Bebel mit diesen Worten eine Position zur Staatsfrage, die im Gegensatz zum revolutionären Sozialismus stand.
Marx hatte aus den Erfahrungen der Pariser Kommune von 1870/71 die Schlußfolgerung gezogen, daß die Arbeiterklasse die vorhandene Staatsmaschinerie nach einem Sieg nicht einfach übernehmen könne, sondern sie zerschlagen und eine neue aufbauen müsse.
Engels hatte diese Position in seiner Kritik des Erfurter Programms bekräftigt, indem er die sich ausbreitende Vorstellung vom friedlichen Hineinwachsen der Gesellschaft mit der Frage konterte, ob diese damit nicht „ebenso notwendig aus ihrer alten Gesellschaftsverfassung hinauswachse und diese alte Hülle ebenso gewaltsam sprengen müsse wie der Krebs die seine“ (MEW 22:234).
Bebel vertrat einen anderen Standpunkt. Ihm ging es nicht um die Ersetzung des obrigkeitlichen Junkerstaats durch einen neuen, demokratischen Staat, sondern darum, ihn als scheinbar neutrale Instanz unter sozialdemokratischer Regierung fortzuführen, denn dann „haben wir alles“, wie er diese Position auf den Punkt brachte..
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Bebel und das Militär
Auf der einen Seite kritisierte Bebel den Militarismus, wandte sich gegen sinnlosen Drill und Rekrutenschinderei, Übergriffe und Mißhandlungen in den Kasernen und forderte die Verkürzung der dreijährigen Militärzeit. Auf der anderen Seite richtete sich seine Kritik nicht gegen das preußisch-deutsche Militär als solches, sondern zielte darauf, das Heerwesen durch konstruktive Reformvorschläge zweckmäßiger zu gestalten. Bei den Beratungen des Militäretats im Reichstag übte er regelmäßig zunächst eine Generalkritik, um dann praktische Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten.
Diese Haltung hatte einen konkreten politischen Hintergrund. Bebel hielt zeit seines Lebens daran fest, daß Deutschland mit einem russischen Angriff rechnen und sich deshalb auf einen Verteidigungskrieg vorbereiten müsse. Deshalb trat er für den Ausbau eines zeitgemäßen, modernen und kriegstauglichen Militärwesens ein.
Diese Haltung hatte seine Berechtigung in der nachnapoleonischen Ära, nach dem Wiener Kongreß als Rußland der Hort der Reaktion gegen jegliche demokratische Entwicklung in Europa war. Jedoch beim Krimkrieg 1853 – 1856 zeigte sich die Schwäche Rußlands und die Stärke des britischen und französischen Imperialismus.
Spätestens nach der russischen Revolution 1905 hätte Bebel und die SPD die alte Position revidieren müssen, da Rußland jetzt als potentiell zur Revolution bereites Land in Erscheinung getreten war. So war das bewußte Hineintreten der SPD in den Weltkrieg 1914 eben kein „Verrat“ oder „Umfallen“ ,sondern die logische Konsequenz am starren Festklammern an eine überholte Position.
Der gern zitierte Satz des alten Wilhelm Liebknecht „Diesem System keinen Mann und keinen Groschen“ schien eine grundsätzliche Gegnerschaft gegen den Militärstaat zu dokumentieren. In Teilen der Arbeiterbewegung war diese Gegnerschaft auch vorhanden, doch insgesamt verdeckten die wohlklingenden Worte die Tatsache, daß die SPD in der parlamentarischen Praxis ganz andere Wege ging und sich immer mehr an den bestehenden Staat annäherte..
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1907: Bebel verteidigt Noske gegen Liebknecht
Als die SPD bei der Reichstagswahl 1907 eine Niederlage erlitt, rückte sie noch mehr nach rechts.
Bei den Beratungen des neuen Reichstags über den Rüstungsetat wies Bebel den im Wahlkampf erhobenen Vorwurf der „vaterlandslosen Gesellen“ scharf zurück und versicherte zum wiederholten Male, daß die Sozialdemokraten in einem Krieg mit Rußland „selbstverständlich die Flinte auf den Buckel nehmen“ würden.
Anschließend vertiefte Gustav Noske als rüstungspolitischer Sprecher der Fraktion Bebels Ausführungen. Er identifizierte sich mit den vorher gemachten Aussagen des preußischen Kriegsministers über Angriffskriege auf Deutschland, betonte, daß die Sozialdemokraten in einem solchen Fall „begeistert ihr Vaterland verteidigen“ würden, und erklärte es zu einer Selbstverständlichkeit, dafür zu sorgen,“daß das deutsche Volk nicht etwa von irgend einem anderen Volk an die Wand gedrückt wird“. Als er wegen seiner Aussagen auf dem anschließenden Essener Parteitag kritisiert wurde, stellte sich Bebel vor ihn und pries seine Reichstagsrede als „gute Rede“, die seine „Zustimmung und Anerkennung“ gefunden habe (Parteitagsprotokoll 1907:254).
Im selben Jahr legte Liebknecht eine Schrift über „Militarismus und Antimilitarismus unter besonderer Berücksichtigung der internationalen Jugendbewegung“ vor, worin er den Militarismus mit scharfen Worten geißelte und zu einer Verstärkung der antimilitaristischen Propaganda aufrief. Bebel distanzierte sich öffentlich von Liebknechts Schrift und verhinderte, daß sie im Parteiverlag der SPD erscheinen konnte.
Als die preußische Militärführung im April 1913 auf einer nichtöffentlichen Sitzung des Haushaltsausschusses die Notwendigkeit der Nachrüstung mit Kriegsvorbereitungen durch Rußland und Frankreich begründete und zugleich darlegte, daß Deutschland im Kriegsfall zuerst Frankreich angreifen müsse (inklusive Durchmarsch durch Belgien), um sich anschließend dem Gegner im Osten zuzuwenden, nahmen die anwesenden SPD-Vertreter mit Bebel an der Spitze die vorgestellte Kriegsplanung einschließlich des angekündigten Einmarsch in das neutrale Belgien ohne Protest zur Kenntnis (Sitzungsbericht in Bley 2014:258ff.).
Nach der Sitzung verfasste Bebel eine Stellungnahme zur Aufrüstung, die der Parteivorstand im Mai 1913 als Flugschrift in ganz Deutschland verbreiten ließ. Unter dem Titel „Ein ernstes Wort in ernster Zeit. Militärvorlage und internationale Rüstungsindustrie“ hieß es darin, daß „wir in Deutschland mit der Möglichkeit eines Angriffskrieges von außen einstweilen noch rechnen (müssen), namentlich von Osten her.“ Weil dann aber „unser Vaterland vielleicht vor die Frage von Sein oder Nichtsein“ gestellt würde, wäre „die Vorbereitung einer starken Schutzwehr notwendig“. Damit wiederholte die Flugschrift die Vorgaben der Militärs als Position der Parteiführung, befürwortete die deutsche Aufrüstung und stellte die Kriegsunterstützung durch die Arbeiterbewegung in Aussicht.
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1914: Die SPD verschmilzt mit dem Militäradel
Mitte 1914 war es soweit. Die SPD setzte ihre Versprechungen in die Tat um und stimmte den Kriegskrediten zu. Zwar traten keine Sozialdemokraten als Minister in die Regierung ein, aber maßgebliche Parteimitglieder nahmen intensive Kontakte zur Obersten Heeresleitung (OHL) auf, an der Spitze Eduard David, der mit Friedrich Ebert und Philipp Scheidemann seit April 1917 dem engsten Führungszirkel der Partei angehörte.
Ende 1916 wurde in Kooperation mit Gewerkschaften und Sozialdemokraten das Vaterländische Hilfsdienstgesetz erarbeitet, das alle Männer zwischen siebzehn und sechzig der Arbeitspflicht unterwarf und die freie Wahl des Arbeitsplatzes aufhob, um kriegswichtigen Betrieben die notwendigen Arbeitskräfte zu verschaffen. Zur Umsetzung dieses Gesetzes mußten in allen Betrieben ab fünfzig Beschäftigten Arbeiter- und Angestelltenausschüsse gebildet werden, die bei Arbeitskonflikten zusammen mit Vertretern der Betriebsleitung für die Schlichtung zu sorgen hatten. Außerdem wurde zur Koordinierung der Rüstungsanstrengungen ein Oberstes Kriegsamt eingerichtet, als dessen Leiter General Wilhelm Groener fungierte, der sein Amt in enger Absprache mit den Gewerkschaften führte und im November 1918 als Co-Chef der Obersten Heeresleitung mit Ebert das Vorgehen gegen die Novemberrevolution abstimmte..
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1917: Die SPD für die Verlängerung des Weltkrieges
Der deutsche Reichskanzler Bethmann Hollweg, der seit dem Fehlschlag der Verdun-Offensive 1916 an den Siegesaussichten der Mittelmächte zweifelte, unternahm in dieser Situation einen Versuch, um unter Vermittlung des Vatikans mit den Gegnern einen „Remisfrieden“ unter gegenseitigen Verzicht auf Eroberungen und Entschädigungen zu schließen. Er sagte in den geheimen Vorgesprächen u.a. die vollständige Wiederherstellung der Unabhängigkeit Belgiens zu (für London der Hauptkriegsgrund) und erklärte sich zu Grenzkorrekturen in Elsaß-Lothringen bereit.
Doch die Führungen von Zentrum und SPD setzten ebenso wie die OHL auf einen deutschen Sieg, denn sie erwarteten ein baldiges Ausscheiden des revolutionsgeschüttelten Rußlands aus dem Krieg und danach den Endsieg im Westen. Hinter den Kulissen organisierten sie daher im geheimen Zusammenwirken mit der OHL den Sturz des friedensbereiten Kanzlers, um den Krieg mit einem neuen Kanzler bis zum Sieg fortzusetzen. Als sichergestellt war, daß Bethmann Hollweg vom Reichstag keine Unterstützung erhalten würde, verlangte die OHL vom Kaiser seine Entlassung, und da bis auf die politisch einflußlosen Linksliberalen sämtliche Reichstagsparteien sich gegen ihn aussprachen, mußte er zurücktreten. Anschließend konnte der Krieg mit Georg Michaelis als neuem Kriegskanzler, auch dank der SPD, wie geplant weitergeführt werden; die Friedensgespräche mit dem Vatikan ließ der neue Regierungschef im Sande verlaufen.
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1918 Der Kampf der SPD gegen die Novemberrevolution
Als 1918 die militärische Niederlage Deutschlands trotz des Ausscheidens Rußlands aus dem Krieg unausweichlich wurde, leitete die OHL die Parlamentarisierung des Reichs ein, um den US-Präsidenten Wilson als Friedensvermittler zu gewinnen. Der unvorbelastete Max von Baden wurde zum Kanzler gemacht, und im Oktober 1918 verabschiedete der Reichstag die Verfassungsänderungen,die dem Reichstag die zuvor verwehrten Parlamentsrechte gewährten; ebenso fiel nun das preußische Dreiklassenwahlrecht. Jetzt traten auch zwei Sozialdemokraten in die Regierung ein, was die SPD bis dahin abgelehnt hatte, um nicht mit einer Kriegsregierung identifiziert zu werden.
Die seit langem brodelnde revolutionäre Flut ließ sich jedoch nicht aufhalten. Als sie Anfang November losbrach, wurde das Heer binnen weniger Tage von Soldatenräten beherrscht, stürzten die Fürstenthrone einer nach dem anderen und übernahmen in allen größeren Städten Arbeiter- und Soldatenräte die Macht. In einem letzten Versuch, die Monarchie zu retten, trat der sozialdemokratische Parteivorsitzende Ebert am Mittag, des 9. November 1918 als Reichskanzler an die Stelle Max von Badens, in der Hoffnung, die revolutionären Massen dadurch zu beruhigen. Seine erste Aktion war ein Aufruf an alle Behörden und Beamten, auf ihren Posten zu bleiben, desgleichen ließ er die bisherigen Staatssekretäre (Minister) sowie die Militärführung im Amt.
Die Führer der Mehrheitssozialdemokraten hatten sich mit der Oktoberreform des Kanzler Max von Baden am Ziel ihrer Wünsche gesehen. In ihren Augen war der Novemberumsturz ebenso überflüssig wie schädlich. Die Parlamentarisierung der Monarchie ermöglichte es ihnen, als stärkste Reichstagspartei die Regierung zu übernehmen und den „Junkerstaat“, wie von Bebel erhofft, in die Hand zu bekommen; die Kanzlerschaft Eberts realisierte diese Zielsetzung. Die Parteiführung hatte also jeden Grund, die Revolution zu bekämpfen – in den bekannten Worten Eberts: „ich hasse sie wie die Sünde“, komprimierte sich die Position der SPD-Spitze, deren jahrelang verfolgtes Machtkonzept mit einem Mal durch die Revolution bedroht wurde..
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Die SPD sabotiert die Rätebewegung
Die sozialdemokratische Regierungsübernahme hatte nicht die erhoffte beruhigende Wirkung, außerdem rief Scheidemann am Nachmittag des 9. November gegen den Willen der Parteiführung die Republik aus, um der Ausrufung einer sozialistischen Republik durch Liebknecht zuvor zu kommen. Eberts Kanzlerschaft endete also nach wenigen Stunden und die Parteiführung mußte sich auf eine neue Lage einstellen. Als erstes mußte sie akzeptieren, daß die USPD inzwischen fast gleichstark war wie sie selber und insbesondere die aktivsten Teile der Rätebewegung darin ihre Vertretung sahen. Auf Vorschlag der SPD wurde deshalb eine gemeinsame Revolutionsregierung aus je drei Vertretern von SPD und USPD gebildet, der „Rat der Volksbeauftragten“. Da die USPDler in sich zerstritten und ohne politische Konzeption waren, fiel es nicht schwer, sie an die Wand zu spielen; Ende 1918 verließen sie den Rat, der von da an nur noch aus SPD-Mitgliedern bestand.
Die zweite, entscheidende Herausforderung war die Rätebewegung. Sie verfügte über die reale Macht im Staat und der Rat der Volksbeauftragten konnte nur in dem von ihr gesteckten Rahmen agieren. Vom 16. bis 20. Dezember 1918 tagte in Berlin der Zentrale Kongreß der Arbeiter- und Soldatenräte Deutschlands, um die künftige Gestaltung Deutschlands festzulegen. Weniger als ein Viertel der Delegierten sprach sich für ein Rätesystem als Grundlage der Verfassung aus, die große Mehrheit entschied sich für ein parlamentarisches Regierungssystem und für den 19. Januar 1919 als Termin für die Wahl zur Nationalversammlung.
Gleichzeitig beschloß der Kongreß eine Reihe von Maßnahmen, die die Umwälzung des preußisch-deutschen Obrigkeitsstaats zum Gegenstand hatten – sofern sie umgesetzt wurden. Dazu gehörte die „Zertrümmerung des Militarismus“, die Schaffung einer Volkswehr anstelle eines stehenden Heeres sowie die Sozialisierung „aller hierfür reifen Industrien“. In diesen Forderungen wurde umrißhaft ein ‚Programm‘ sichtbar, für das es in der breiten Massenbewegung dieser Wochen einen breiten Konsens gab: ‚Demokratisierung‘ vor allem des Heeres, der Verwaltung und der Wirtschaft. Dazu kam noch die Forderung nach einer Landreform, sprich nach Zerschlagung des junkerlichen Grundbesitzes, die zwar vom Rätekongreß nicht explizit beschlossen wurde, aber einem breiten Konsens entsprach.
Bis auf die Sozialisierung der Schwerindustrie gehörten diese Forderungen bereits zum Programm der Revolution von 1848/49. Wäre die SPD in der Vorkriegszeit wenigstens eine bürgerlich-reformistische Arbeiterpartei geworden, hätte sie zumindest einen maßgeblichen Teil davon umgesetzt und so der bürgerlichen Revolution zum Durchbruch verholfen. Jedoch standen die Beschlüsse des Rätekongreßes zum Konzept der SPD-Führung in eindeutigem Widerspruch, und diese setzte alles daran, sie zu unterlaufen. Das fiel ihr umso leichter, weil keine revolutionäre Organisation existierte, um das vom Rätekongreß formulierte
Programm aufzugreifen.
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Das unzureichende Programm von Spartakus/KPD
Während die USPD, zwischen gegensätzlichen Richtungen zerrissen, unfähig zu einer stringenten Politik überhaupt war, verfügte Spartakus/KPD über ein eigenes Revolutionskonzept, das sogenannte „Oktoberprogramm“. Dieses Programm sah jedoch eine proletarische Alleinrevolution zur Errichtung einer Diktatur des Proletariats vor und war angesichts der sozialen und politischen Verhältnisse in Deutschland zum Scheitern verurteilt. In Rußland hatte Lenin, um den Sieg der Oktoberrevolution zu sichern, das jahrelang verfochtene Agrarprogramm der SDAPR über Bord geworfen, das Programm der Sozialrevolutionäre übernommen und so die Unterstützung der Bauern für die Regierungsübernahme durch die Bolschewiki erhalten. Luxemburg hielt diese Wende Lenins für falsch, sie dachte nicht daran, ihre Sozialismusstrategie für Deutschland umzustoßen.
Unter diesen Umständen hatte die SPD leichtes Spiel, im Unterschied zu den anderen Kräften besaß sie mit der Wiederherstellung des preußische-deutschen Beamtenstaats ein realistisches politisches Konzept. Zwar hatte es einen formalen Staatswechsel gegeben, aber die gesellschaftlichen Strukturen der bisherigen Ordnung waren unangetastet geblieben, so daß es nur darauf ankam, den alten Staatsapparat wieder in seine Rechte einzusetzen. Diesem Ziel gemäß agierte sie in den kommenden Wochen und Monaten..
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Die Konterrevolution unter Führung der SPD
Statt den Militarismus zu zertrümmern, wie vom Rätekongreß gefordert, setzte sie das im Krieg zustande gekommen Bündnis mit dem Militäradel fort (Ebert-Groener-Pakt), garantierte die Fortexistenz des preußisch-deutschen Offizierskorps und setzte die vorhandene bewaffnete Macht aus konterrevolutionären Heereseinheiten und neu gebildeten Freikorps ein, um die revolutionär-demokratische Bewegung zu zerschlagen und die eigene Regierungsmacht zu sichern.
Mit dem Stinnes-Legien-Abkommen zwischen Schwerindustrie und Gewerkschaftsführung wendete sie die Sozialisierung der Zechen und Stahlwerke gegen eine Reihe sozialpolitischer Zugeständnisse ab. Statt eine Landreform durchzuführen, setzte sie bewaffnete Kräfte ein, um die ostelbischen Gutsbesitzer gegen aufbegehrende Landarbeiter zu schützen.
Die Räte, die allerorten die Demokratisierung von Verwaltung und Polizei eingeleitet hatten, wurden von ihr entmachtet, das alte Justizwesen wieder in Gang gebracht, Staat und Kirche nicht voneinander getrennt. Als die Weimarer Verfassung Mitte 1919 die „wohlerworbenen Rechte“ des Berufsbeamtentums in Verfassungsrang erhob, war die Restauration des obrigkeitlichen Staatsapparats abgeschlossen. Damit korrespondierte der Aufbau der Reichswehr als Staat im Staat in den 1920er Jahren.
Barrikade im Berliner Zeitungsviertel Anfang 1919 – gegen die reaktionären Noske-Truppen
Bei ihrer Zusammenarbeit mit den Vertretern der alten Ordnung handelten die Sozialdemokraten in der Überzeugung, daß sie diese dauerhaft mit Hilfe des Parlamentarismus beherrschen könnten. Deshalb wandten sie sich auch gegen die überfällige Zerschlagung des Landes Preußen, da sie hier bei Landtagswahlen mit stabilen Mehrheiten rechnen konnten, während im Süden das Zentrum stark war. Sollten sie daher auf Reichsebene die Regierungsgewalt verlieren, würde Preußen ihnen weiterhin als Machtbastion dienen. Der von Paul von Hindenburg befohlene und von der Reichswehr exekutierte „Preußenschlag“ vom 20. Juli 1932 zerstörte diese Illusion gründlich.
Wie die Revolution von 1848/49 blieb auch der Novemberumsturz von 1918 auf diese Weise eine unvollendete bürgerliche Revolution. Im ersten Anlauf scheinbar siegreich, vermochte er es nicht, seinen Sieg zu festigen, so daß den von der Sozialdemokratie angeführten reaktionären Kräften ein roll back gelingen konnte.
Der daraus hervorgehende Staat von Weimar war seinem Wesen nach kein neuer Staat, sondern die Fortsetzung der alten Ordnung vor 1918 im Gewand der Republik – das Produkt nicht einer siegreichen Revolution, sondern einer von der SPD organisierten Konterrevolution. Entsprechend kurzlebig war er und endete 1933 mit der Machtergreifung Hitlers.
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