Harry Popow
Soldaten für den Frieden (Teil zwanzig)
Leseprobe aus „Ausbruch aus der Stille…“ von Harry Popow
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Hier nun die zwanzigste Leseprobe aus meinem neuen Buch »Ausbruch Aus Der Stille – Persönliche Lebensbilder in Umbruchzeiten«, das im Februar dieses Jahres auf den Markt gekommen ist. Bitte benutzt auch die Kommentarfunktion für Eure Kritiken und Einschätzungen.
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Guten Tag Sanssouci
Umzug – von Neubrandenburg nach Potsdam. Mitte April. Im fast schon klapprigen Skoda fährt die Familie singend Potsdam entgegen, der neuen Heimat. Für den Fahrer schlängelt sich die Straße mehr als üblich – gestern zudem Cleos Geburtstag – Abschied von den Hausgenossen gefeiert. Cleo und Henry wollten nur kurz Adieu sagen, wurden aber hineingezerrt, durften wieder gehen, als das „Fass“ nahezu schon überlaufen wollte. Gute Nachbarn. Gegen Morgen kamen die Umzugsmänner. Henrys mühevoll gestammelten „Anweisungen“, er hatte keine Übersicht mehr. Und trotzdem, alles lief wie am Schnürchen, wie immer bei den Popows, die nichts dem Zufall überlassen. Was erwartet sie? Ein Hochhaus, zu dem Irina ja ihre eigene Meinung hatte, weil es so verschiedenartig farbig gespritzt ist. Drei Zimmer, eine Eßdiele, ein langer Flur, eine zauberhafte Aussicht aus dem 11. Stockwerk auf den Park Sanssouci, mehr Möglichkeiten für Kultur, ein Wiedersehen mit dem Bogenschützen, der „Plauener-Spitzen-Frau“ Lieblingsskulptur, in der sie glaubt, ihren Henry zu sehen, und gute Aussichten mit Arbeit für Cleo in der „Märkischen Volksstimme“. Cleo und Henry – wie glücklich sie sind.
Henry ist indessen Leiter der Unterabteilung Truppenkorrespondenz im Kommando der Landstreitkräfte. Sein Unterabteilungsleiter Siggi ist zur Hauptredaktion nach Berlin versetzt worden. An seine Stelle kam Hauptmann B. aus dem Militärbezirk Leipzig in die kleine Redaktion in Wildpark-West. Ein tüchtiger Korrespondent, fleißig und zuverlässig, sonst hätte Henry ihn nicht vorgeschlagen als Mitarbeiter.
Um weiter nahe am Soldatenalltag dranzubleiben, auch außerhalb der offiziellen Dienstreisen, ist Henry eines Tages nach Güterfelde gefahren, ein Ausbildungsgelände südlich von Stahnsdorf. Henry wartet auf die 8. Kompanie aus dem Mot.-Schützenregiment Stahnsdorf („Arthur Ladwig“), denn heute soll Taktikausbildung sein, Komplexausbildung. Ein etwas diesiger Tag. Vor ihm ein ausgedehntes, zerfurchtes Gelände. Gräben und Löcher. Lerchen singen. Wie eh und jeh, als er hier noch als Zugführer seine Soldaten ausbildete. Da kommt die 8. angetrottet. Schrecklich, diese „Ordnung“!! Der Kompaniechef duldet, während er das Thema nennt, eine weit geschwungene und ausgebeulte Antreteordnung. Auch erklärt er zu lange. Viel zu viel Worte. Henry wendet sich dem 2. Zug zu. Unteroffizier R., der ihn führt, erhielt erst gestern Abend den Befehl dazu. Zugführer und Stellvertreter nicht anwesend, haben bzw. hatten 24-Stundendienst. Der Unteroffizier kaut fortwährend. Henry glaubt nicht richtig zu sehen. Und das vor den Unterstellten! Kaugummi? Der Unteroffizier lässt den Zug antreten. Versucht, die Gruppenführer einzuweisen. Es wird gequatscht im Zug. Dann Angriff und Entfaltung. Sehr unkonkrete Befehle. Ausführung sieht danach aus. Dem Kompaniechef ist das zuviel. Er gerät in rage. „Achtung!“ Er lässt den Zug antreten: „Ich verlange Mitarbeit und Disziplin, verstanden, und wehe wenn …“ Anschließend geht es etwas besser mit der Ausbildung, aber man merkt, es fehlen viele Voraussetzungen. Plötzlich ruft der Kompaniechef, an einen Unteroffizier gewandt: „Schreiben sie sich mal den Soldat B… auf. Der kratzt nur rum an seiner Schützenmulde, der kann das am Sonnabend/Sonntag am Kanal trainieren.“ Welch eine unsympathische Art, mit den Soldaten umzugehen. Eine himmelschreiende Niveaulosigkeit. Auch ein Militärjournalist hat es nicht leicht. Er wird das mit dem Kompaniechef in der Kaserne auswerten und eventuell einen Artikel darüber schreiben. Dann aber muss er weiter in die Materie eindringen. Jemanden kritisieren ist so leicht, schwieriger ist es, die Ursachen von Schlamperei aufzudecken, nicht mehr und nicht weniger – journalistische Schwerstarbeit.
Der Leiter der Unterabteilung und Reporter wird ins „Haus der Armee“ in Potsdam eingeladen. Walter Flegel, ein Armeeschriftsteller, hat Oberstleutnant Popow zu einer Zusammenkunft mit „Schreibenden Soldaten“ gebeten. Er soll etwas sagen zur Mitarbeit an der Militärpresse, denn das sei eine gute Möglichkeit, sich in der schreibenden Zunft zu üben. Henry freut sich. Kann er doch auf diesem Wege eventuell neue Korrespondenten gewinnen. Da seine Cleo mit dem Pressefest alle Hände voll zu tun hat, nimmt er seine Tochter, die fünfjährige Irina mit. Sie sitzt am Ende eines langen Tisches. Ihr Papa erzählt und argumentiert, redet und berichtet, wirbt für die ehrenamtliche Mitarbeit, fordert schließlich dazu auf, Fragen zu stellen. Schweigen in den ersten Sekunden, wie so oft in solchen Situationen. Doch einer muss den Anfang machen. Nur wer? Da peitschen Irinas Worte knallhart wie Schüsse in die Stille: „Papa, du hast aber schöne Märchen erzählt, du redest wie der liebe gute Weihnachtsmann …“ Keiner sagt etwas vor Schreck, Henry hört nur ein unterdrücktes Kichern, er quält sich ein Lächeln ab, das Eis ist gebrochen, die „Schulung“ gerettet …
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Zum Inhalt
Ausgangssituation ist Schweden und in Erinnerung das Haus in Berlin Schöneberg, in dem die Ziebells 1945 noch wohnen. Der Leser erfährt zunächst, wer die Eltern waren (seine Mutter stammt aus Moskau), berichtet kurz vom Evakuierungsort 1943/44 in Pommern, von der Rückkehr in das noch unter Bombenhagel liegende Berlin (Schöneberg), von den Eindrücken nach Kriegsende und vom Einleben in der neuen Gesellschaft, dabei auch von einer Begegnung der Jungen Pioniere mit Wilhelm Pieck.
Die Lehrzeit wird skizziert mit der Arbeit im Zwickauer Steinkohlenrevier, mit Tätigkeiten in der Geologischen Kommission der DDR und mit dem Besuch der Offiziersschule der KVP/NVA in Erfurt und in Plauen, wo er seine spätere Frau kennenlernte.
Wie lebt ein junger Offizier in der Einöde im Nordosten der DDR, welche Gedanken und Gefühle bewegen ihn? Darum geht es in den nächsten Aufzeichnungen seiner Impressionen. Seine Träume führen ihn mitunter weg vom Kasernenalltag und so nimmt er die Gelegenheit wahr, für fünf Monate im Walz- und Stahlwerk Eisenhüttenstadt als einfacher Arbeiter tätig zu sein.
Durch Versetzungen gelangt er nach Potsdam. Dabei kommen Querelen des Alltags als Ausbilder und später als Politoffizier nicht zu kurz. Ein Glücksfall für ihn, als er nach Neubrandenburg in einen höheren Stab als Redakteur berufen wird. Er beginnt ein Fernstudium als Diplomjournalist an der Karl-Marx-Universität in Leipzig. Inzwischen ist er längst glücklich verheiratet. Die Höhen und Tiefen eines Militärjournalisten – die zwingen ihn, vieles neu zu überdenken. Vor allem als einstiger Ausbilder gelingt es ihm, die Probleme der Soldaten immer besser zu verstehen und sie bildhaft zu schildern.
Die spätere Arbeit als Abteilungsleiter in der Wochenzeitung „Volksarmee“ macht ihm nicht nur Spaß, er nimmt auch Stellung gegen Ungereimtheiten, was ihm nach der Entlassung aus dem aktiven Armeedienst und der Tätigkeit als Journalist im Fernsehen der DDR nicht nur böse Blicke einbringt. So fährt er im September 1989 seiner Tochter nach Ungarn hinterher, um herauszukriegen, weshalb sie mit ihrem Partner abgehauen ist; er gibt ihr dabei das Versprechen, sie in keiner Weise als Tochter zu verurteilen. Nach seiner Rückkehr wird er mit einer Parteistrafe gerügt, die Wochen später angesichts der vermeintlichen Verstöße und Fehler durch die Politik nicht mehr relevant scheinen und wieder gestrichen wird. Auf Unverständnis stößt er auch bei seinen Mitarbeitern, als er nach der Teilnahme an der Dokumentarfilmwoche1988/89 in Leipzig angeblich nicht die erwarteten Schlussfolgerungen zieht.
Nach der Wende: Versuche, arbeitsmäßig Fuß zu fassen, u.a in Gran Canaria und in einer Steuerfirma. Die Suche nach Alternativen, günstiger zu wohnen, sowie die Sehnsucht nach Ruhe führt das Ehepaar nach Schweden.
Episoden aus dem Dorfleben und von vielen Begegnungen, so z.B. bei der Geburtstagsfeier einer siebzigjährigen Schwedin, machen den Alltag und die feierlichen Momente in der „Stille“ nacherlebbar. Keine der in der DDR erlebten Widersprüche und politischen Unterlassungssünden wirft den überzeugten Humanisten aus der Bahn, wogegen die Kapitaldiktatur mit ihren hörigen Medien, politische Manipulationen und Lügen im angeblich so demokratischen Deutschland ihn aufbringen – er bleibt ein Suchender, auch nach der Rückkehr im Jahre 2005 nach Deutschland. Als Rentner, Blogger, Rezensent undund Autor!
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Harry Popow: AUSBRUCH AUS DER STILLE. Persönliche Lebensbilder in Umbruchzeiten. © Copyright by Harry Popow, Verlag: epubli, Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin, Erscheinungsdatum 18.02.2019, ISBN: 9783748512981, Seiten: 500, Preis: 26,99 Euro.
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Über den Autor: Geboren 1936 in Berlin Tegel, erlebte Harry Popow (alias Henry) in seinem Buch „Ausbruch aus der Stille“) noch die letzten Kriegsjahre und Tage. Ab 1953 war er Berglehrling im Zwickauer Steinkohlenrevier. Eigentlich wollte er Geologe werden, und so begann Harry Popow ab September 1954 eine Arbeit als Kollektor in der Außenstelle der Staatlichen Geologischen Kommission der DDR in Schwerin. Unter dem Versprechen, Militärgeologie studieren zu können, warb man ihn für eine Offizierslaufbahn in der KVP/NVA. Doch mit Geologie hatte das alles nur bedingt zu tun… In den bewaffneten Kräften diente er zunächst als Ausbilder und danach 22 Jahre als Reporter und Redakteur in der Wochenzeitung „Volksarmee“. Den Titel Diplomjournalist erwarb der junge Offizier im fünfjährigen Fernstudium an der Karl-Marx-Universität Leipzig. Nach Beendigung der fast 32-jährigen Dienstzeit arbeitete er bis Ende 1991 als Journalist und Berater im Fernsehen der DDR. Von 1996 bis 2005 lebte der Autor mit seiner Frau in Schweden. Beide kehrten 2005 nach Deutschland zurück. Sie sind seit 1961 sehr glücklich verheiratet und haben drei Kinder, zwei Enkel und zwei Enkelinnen.
Frühere Artikel von Harry Popow
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