Paul Schreyer
Schweigende Lämmer, getroffene Hunde
Politisch unbequeme Bestseller werden von den Leitmedien ignoriert oder diffamiert
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Paul Schreyer
Wenn Bücher, die nahe legen, dass Demokratie im Westen nur Fassade ist, zu Bestsellern werden, schweigen die Leitmedien – oder unterstellen, die Autoren wären verwirrte Scharlatane. Jüngste Fälle: Rainer Mausfeld und Dirk Müller.
„Warum schweigen die Lämmer?“ fragt Professor Rainer Mausfeld im Titel seines aktuellen Buches provokant und schaffte es damit auf Anhieb auf die Spiegel-Bestsellerliste. Mausfeld trifft einen Nerv – seine Analyse zur verdeckten Rolle von Machteliten in unserer Gesellschaft macht verständlich, was viele Bürger zwar fühlen, aber bislang nur schwer in Worte fassen konnten: Warum die behauptete Demokratie an vielen Stellen nur schöner Schein ist. Seit seinem Erscheinen vor zwei Monaten hält sich das Buch durchgängig in den Top 30 der Sachbuchbestseller, der Verlag druckt bereits die vierte Auflage – und das ganz ohne große Werbung und Pressepräsenz.
Wie reagieren die Leitmedien auf diesen, für ein anspruchsvolles Sachbuch zu politischer Theorie einigermaßen erstaunlichen Erfolg? Nehmen sie den Ball auf, führen sie die Debatte weiter, wird Mausfeld zu Anne Will und Frank Plasberg eingeladen? Mitnichten. Ist die Frage naiv? Wahrscheinlich. Der Mainstream tut bislang jedenfalls vor allem zweierlei: Schweigen und, wo das nicht reicht, diffamieren.

Foto: Igor Normann/Shutterstock.com
Nachdem der Deutschlandfunk das Werk in der Woche des Erscheinens als „klagende Behauptung“ und „Empörungsbuch“ abgekanzelt hatte, passierte in den großen deutschen Medien wochenlang erst einmal gar nichts. Landauf, landab tat man in den Feuilletons und politischen Redaktionen der Republik ganz einfach so, als sei der brisante Bestseller des Kieler Psychologieprofessors nie erschienen.
Es dauerte einen ganzen Monat – und eine lobende Rezension in der Schweizer (!) Neuen Züricher Zeitung –, bis die Süddeutsche Zeitung sich bemüßigt sah, warnend einzugreifen. Wenn ein radikales, unbequemes Buch sich trotz Totschweigens weiter erfolgreich verkauft – und dann auch noch im Ausland gelobt wird –, muss, so scheint es, die Strategie geändert werden. Man schaltete auf Angriff und wechselte dazu in geübter Manier in den Diffamierungsmodus. Rainer Mausfeld, so meinte die Süddeutsche nun zu erkennen, sei „abgedriftet in krude Bescheidwisserei“ – eine Art Feuilleton-Deutsch für: „Wir können die vom Autor vorgebrachten Fakten leider nicht widerlegen.“
Mausfelds Ansichten seien „schnell geschrieben und schnell beklatscht, deshalb aber noch lange nicht wahr“. Der Leser, der an dieser Stelle gespannt auf die Argumentation des Rezensenten wartet, wird stattdessen mit einer vagen Bekundung abgespeist: Mausfelds Gedanken würden, so wörtlich, „der Komplexität im Ringen um Fortschritte in der Weltgemeinschaft nicht gerecht“. Das klingt hilflos verschwurbelt und ließe sich vielleicht übersetzen mit: „Ich weiß zwar auch, dass das herrschende System gerade nicht gut aussieht, aber seine Vertreter geben sich immerhin große Mühe.“
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Lassen sich Faschismus und Neoliberalismus vergleichen?
Doch die Sache ist zu ernst, um witzig zu sein. Das weiß auch der Rezensent der Süddeutschen, Tanjev Schultz, mit seinen 44 Jahren immerhin Professor für Journalismus an der Uni Mainz, und so gipfelt sein Verriss denn auch in heilig-grantigem Zorn: Mausfelds Werk sei letztlich nichts anderes als „ein Buch für den linken Wutbürger“. Und weiter, mit schwungvoller Empörung:
„In offenbar zustimmender Absicht bringt das Buch ein Zitat, demzufolge die neoliberale Wirtschaftsordnung in einem Jahr locker so viele Menschen umbringe wie der deutsche Faschismus in sechs Jahren. Wer so halbseiden – man könnte auch sagen: infam – argumentiert, braucht sich nicht zu wundern, wenn ihm nur ein paar eingefleischte Schafe folgen.“
Wumms, das hat gesessen! Professor Mausfeld ist nicht nur „krude abgedriftet“, sondern argumentiert auch noch „halbseiden“ und „infam“ – ein frecher Scharlatan also, der besser daran täte, seinen Mund zu halten. Doch hat die Süddeutsche an dieser Stelle das Blatt vielleicht überreizt. Denn das vermeintlich infame, den Faschismus relativierende Zitat, stammt, der Rezensent verschweigt es wohl nicht ohne Grund, von Jean Ziegler, einem ausgewiesenen Fachmann für den Hunger in der Welt und dessen Verursacher. In Mausfelds Buch heißt es dazu auf Seite 39:
„Jean Ziegler, der ehemalige UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, bemerkte 2012 in der Zeitung junge Welt: ‚Der deutsche Faschismus brauchte sechs Kriegsjahre, um 56 Millionen Menschen umzubringen – die neoliberale Wirtschaftsordnung schafft das locker in gut einem Jahr.’“
Sucht man die Originalquelle für diese Aussage, dann findet man folgende Passage aus einem Interview der Jungen Welt mit Ziegler:
Junge Welt: „Gibt es eine Schätzung, wie viele Menschen durch die Wirtschaftspolitik der entwickelten kapitalistischen Staaten ums Leben gekommen sind?“
Ziegler:
„Laut ECOSOC-Statistik sind vergangenes Jahr 52 Millionen Menschen Epidemien, verseuchtem Wasser, Hunger und Mangelkrankheiten zum Opfer gefallen. Der deutsche Faschismus brauchte sechs Kriegsjahre, um 56 Millionen Menschen umzubringen – die neoliberale Wirtschaftsordnung schafft das locker in wenig mehr als einem Jahr. […] Immer mehr Menschen wird es klar, dass diese kannibalische Weltordnung von Menschen gemacht wurde und auch von ihnen gestürzt werden kann.“
Dieser Artikel erschien vor Kurzem auch auf www.Rubicon. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers.
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