Jairo Gómez
Die Ruine – Über den Niedergang der SPD
Die SPD wird nicht müde, alten Glanz und Gloria zu vermitteln. Dabei ist der Lack schon lange ab und die Sozialdemokratie nur noch eine Ruine.
Anfang 2017 hieß es: Martin hier, Martin dort und die Sozialdemokratie im Aufwind. Selbst nach dem ernüchternden Ergebnis der Landtagswahl im Saarland, wurde man seitens der SPD nicht müde, alten Glanz und Gloria zu vermitteln. Dabei ist der Lack schon lange ab und die Sozialdemokratie nur noch eine Ruine.
Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands hat sich in der Vergangenheit immer als Partei der kleinen Leute und Arbeiter verstanden. Ende der 1990er Jahre gab es aber eine Zäsur.
Mit Gerhard Schröder betrat ein neuer Typus des Berufspolitikers die große politische Bühne, der in seiner Zeit als Ministerpräsident von Niedersachsen wohl vergessen hatte, woher er einst gekommen war – von ganz unten.
Ein Typ zum Anfassen. Einer aus dem Volk, der es geschafft hatte, sich aus einfachsten Verhältnissen durch Fleiß, Ehrgeiz und mit der nötigen Härte nach oben zu kämpfen.
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Der Genosse der Bosse
Schröder wuchs im Nachkriegsdeutschland auf, besuchte die Volksschule und absolvierte eine Ausbildung als Einzelhandelskaufmann. In der Abendschule holt er die Mittlere Reife nach, macht Abitur und nutzt den zweiten Bildungsweg, um Rechtswissenschaften zu studieren. Er wird Anwalt.
Parallel beginnt seine Parteikarriere. 1963, Schröder ist keine 20 Jahre alt, tritt in die SPD ein. Ein Mann mit politischem Talent und der richtigen Ansprache auf den Lippen. 1971 wird Schröder Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Jungsozialistinnen und Jungsozialisten in der SPD (Jusos), schon sieben Jahre später wird er Bundesvorsitzender der Jusos. 1980 wird Schröder als Abgeordneter in den Bundestag gewählt. Der erste große Wurf gelingt ihm 1990: Schröder wird mit rot-grüner Parlamentsmehrheit zum Ministerpräsidenten von Niedersachsen gewählt.
Dann stößt er in die Zentren der Macht vor. Aus der Bundestagswahl 1998 geht die SPD als Gewinner hervor. Gerhard Schröder wird Bundeskanzler und es kommt zur ersten rot-grünen Koalition auf Bundesebene.
Parallel mit Schröders Aufstieg und noch deutlicher unter seinem Einfluss als Kanzler, änderte sich die Positionierung der SPD. Die Partei wendete sich von ihrem angestammten Klientel ab und dem Kapital zu.
Dass die Medien Schröder wahlweise als „Autokanzler“ oder auch häufiger als „Genosse der Bosse“ betitelten, weil er eine auffällige Nähe zu Wirtschaftsführern und Konzernchefs pflegte, ist eine der vielen Randnotizen. Sie verdeutlicht aber eine Grundhaltung: Erst kommen Kapital und Wirtschaft, dann der Rest.
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Krieg als Mittel der Politik
Zwar war bei den Sozialdemokraten immer die Rede davon, dass man zeitlose Werte wie Fairness, soziale Gerechtigkeit, Freiheit und Chancengleichheit, Solidarität und Verantwortung niemals preisgeben wolle, doch wie es sich im Nachhinein herausstellte, waren diese Versprechen der SPD-Granden Lippenbekenntnisse.
Auch der Slogan „Nie wieder Krieg!“ stand nur noch auf dem Papier. Die SPD, die immer auf eine Politik des Friedens gesetzt hatte, in der Konflikte durch Verhandlungen gelöst werden sollten, rückte mit einem Völkerrechtsbruch von diesem Grundsatz ab und deutsche Truppen aus.
Von März bis Juni 1999 beteiligen sich deutsche Tornados an Bombardements von Zielen in der souveränen Bundesrepublik Jugoslawien durch die NATO. Die Operation „Allied Force“ hatte kein Mandat der UNO und war somit völkerrechtswidrig.
Um die Bevölkerung auf Kriegskurs einzustimmen, belog der damalige Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) die deutsche Öffentlichkeit, in dem er behauptete, es würden ethnischen Säuberungen im Kosovo durchgeführt. Bis heute gibt es dafür keine Beweise.
Joschka Fischer (Grüne), Vize-Kanzler und Außenminister im Schröder-Kabinett, leistete ihm Schützenhilfe. Nach dem Kosovo-Sonderparteitag in Bielefeld, bei dem nicht nur Fischer als Krieghetzer beschimpft wurde, verließen die Grünen die Ecke der Friedenstauben und bestiegen die blutige Bühne des Krieges.
Joschka Fischer auf dem Kosovo-Sonderparteitag in Bielefeld 1999
Dass Gerhard Schröder sich weigerte am Irak Krieg teilzunehmen, darf ruhig als Makulatur angesehen werden, war es doch viel mehr ein geschickter Schachzug, um 2002 noch einmal die Bundestagswahl zu gewinnen.
Immerhin leistet Deutschland für die US-Armee logistische Unterstützung, ohne die der Krieg in dieser Art gar nicht hätte durchgeführt werden können. Hinzu kamen noch Überflugerlaubnisse für US-Militärflugzeuge.
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Geschenke für die Reichen
Im Jahr 2000 beschloss die rot-grüne Koalition eine Steuerreform, die hauptsächlich den Besserverdienenden und den Unternehmen zugute kam. Doch damit nicht genug. Mit der Umsetzung der Agenda 2010 und der Einführung von Hartz-IV brach die SPD völlig mit früheren Grundsätzen und Werten.
Dass die Bertelsmann Stiftung bei der Erarbeitung der Hartz-IV-Gesetze im Hintergrund Regie führte, verleiht dem Hartz-Konzept eine besondere Note.
Nach eigener Beschreibung fördert die Stiftung „Reformprozesse“ und „Prinzipien unternehmerischen Handelns“. Das ist beachtenswert, da die Bertelsmann-Stiftung seit 1993 die Mehrheit am Bertelsmann Konzern hält. Sie hat zwar kein Stimmrecht, bedenkt man aber, welche Machtfülle hinter dem Konzern steht, dann ist die Beteiligung eines solchen Konstrukts an politischen Reformen zumindest fragwürdig. Der Bertelsmann Konzern ist ein international agierendes Unternehmen in den Bereichen Medien, Dienstleistungen und Bildung und hat somit auch Interessen, die sich kaum mit denen der Arbeiter und Angestellten decken dürften.
Allein die theoretische Möglichkeit, die sich durch diese Verbindung ergibt, nämlich seitens der Wirtschaft sozial-politische Entscheidungen zu beeinflussen, die substanziell für einzelne Bevölkerungsschichten sind, ist besorgniserregend.
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Ulla Schmidt und Oskars Abgang
In diesen zeitlichen Kontext fällt auch die große Gesundheitsreform von Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt. Unter der SPD-Politikerin und ihrem Berater, dem „Einflüsterer“ Prof. Karl Wilhelm Lauterbach, erfolgte im Gesundheitswesen ein Kahlschlag in einem bis dahin unbekannten Maßstab.
Die Eigenbeteiligung der Patienten wurde erhöht, die Zuzahlung bei Arznei- und Hilfsmitteln und die Fallkostenpauschalen eingeführt sowie unzählige Leistungen gestrichen: die breite Masse wurde zur Kasse gebeten.
Oskar Lafontaine, der Schröder früh eine arbeitnehmerfeindliche Sozial-, Wirtschafts- und Steuerpolitik vorwarf und 1999 auch heftige Kritik an der Bombardierung Serbiens übte, war innerhalb der Führungsriege der SPD vielleicht der letzte seiner Art, der die „alten Werte“ vertrat – ungeachtet seiner offenkundigen Rivalität zu Schröder.
Der Parteiaustritt von Lafontaine im Mai 2005, nach fast 40 Jahren Zugehörigkeit zur SPD, war die Konsequenz aus einer Politik, die immer deutlicher zugunsten des Kapitals geführt wurde. Aber auch Schröders Zeit war abgelaufen. Am 1. Juli 2005 stellte er die Vertrauensfrage. Die Kanzlermehrheit blieb ihm verwehrt. Damit hatte er wohl gerechnet, aber nicht damit, dass es für ihn und seine SPD bei den vorgezogenen Neuwahlen nicht mehr zum Platz auf dem Thron reichen sollte.
Die Machtverhältnisse verschoben sich. Weder eine schwarz-gelbe noch eine rot-grüne Koalition hatte eine Mehrheit und die erstarkende PDS, dieses Schreckgespenst aus der kommunistischen Altkleiderkammer, musste mit allen Mitteln von einer Regierungsbeteiligung ferngehalten werden. Es blieb die große Lösung – mit einem Schönheitsfehler: Die SPD war nur zweitstärkste Fraktion. Schröder, offenbar irritiert und nicht bereit die zweite Geige zu spielen, zeigte sich als schlechter Verlierer, zog sich dann aus der Politik zurück, um ohne Reibungsverlust in der Wirtschaft wieder aufzutauchen. Die ideologisch schon entstellte SPD rettete sich in die Regierungsbeteiligung und Angela Merkel (CDU), die Schröder für die Agenda 2010 lobte, übernahm das Ruder. Ihr Bett war gemacht …
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Die Reservebank
Franz Müntefering führte die angeschlagene SPD als Stellvertreter der Bundeskanzlerin und Bundesminister für Arbeit und Soziales in die von Merkel geführte Bundesregierung.
Bei der SPD bekam die Reservebank ihre Chance: Frank-Walter Steinmeier, der an der Konzeption der Agenda 2010 beteiligt war und Murat Kurnaz im US-Gefangenenlager Guantanamo sitzen ließ, tourte als Außenminister durch die Weltgeschichte, Peer Steinbrück wurde Finanzminister und konnte Erfahrungen bei der Rettung von Banken sammeln und Sigmar Gabriel durfte sich als Bundesminister um die Reaktorsicherheit kümmern. Der politische Kurs der SPD blieb: Erst kommen Kapital und Wirtschaft, dann der Rest.
2009 war die Große Koalition ausgelutscht. Für Merkel eine leichte Übung. Sie wechselte einfach den Beifahrer. Die FDP durfte vier Jahre erfolglos mitwurschteln. Dann war die SPD wieder dran und passte sich nahtlos ein.
Besonders anpassungsfähig: Andrea Nahles. Die Bundesministerin für Arbeit und Soziales legt im Angesicht eines sich verflüssigenden Arbeitsmarktes dem Heer der Arbeitslosen und den Millionen Hartz-IV-Empfängern im Stil eines Heinrich Kramer mit absurden Sanktionen die Daumenschrauben an, als basiere ihr Handeln auf dem Malleus maleficarum.
Dieser Artikel erschien auch vor ein paar Tagen auf unserem Partnerblog „Graswurzel Post – Stimmen von unten„. Wir danken Jairo Gómez für die Genehmigung der Veröffentlichung.
Dieser Artikel erschien auch vor ein paar Tagen auf unserer Partnerseite INFO-WELT
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Über den Autor: Seit 1967 lebt der im spanischen Granada geborene Bernardo Jairo Gomez Garcia in Deutschland. Schon vor seinen Ausbildungen zum Trockenbaumonteur und Kfz-Lackierer entdeckte Gomez seine Leidenschaft für die Kunst. Er studierte an einer privaten Kunsthochschule Airbrushdesign und wechselte aus der Fabrikhalle ans Lehrerpult. 14 Jahre war Gomez als Spanischlehrer in der Erwachsenenbildung tätig. Seine Interessen gelten der Politik, Geschichte, Literatur und Malerei. Für Neue Debatte schreibt Jairo Gomez über die politischen Entwicklungen in Spanien und Lateinamerika und wirft einen kritischen Blick auf die gesellschaftlichen Veränderungen in Deutschland und Europa, seit kurzem betreibt er seinen eigenen Blog Graswurzel Post.
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