Sascha
Erinnerungen an Conrad Blenkle .
„Auf einer Sitzung des Reichsausschusses des Kommunistischen Jugendverbandes Deutschland (KJVD) im Jahre 1922 sah ich Conrad Blenkle zum ersten mal. Er war damals der Vorsitzende der Groß-Berliner Bezirksorganisation des Jugendverbandes. Ich hörte, dass er großen Einfluss unter den Berliner Jugendgenossen hatte, und war deshalb neugierig, ihn kennenzulernen.“ schrieb der KPD-Bundestagsabgeordnete Robert Leibbrand, 1954. Und weiter: „Ehrlich gestanden: Ich war vom ersten Eindruck enttäuscht. Er fiel weder durch sogenannte Reformkleidung noch durch andere Äußerlichkeiten auf, wie viele andere Jungkommunisten und Funktionäre, die dadurch ihre antibürgerliche Einstellung dokumentieren wollten.
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Keine Phrasen und keine Effekthascherei
Conrad Blenkle war etwa zwanzig Jahre alt, von mittlerer Größe, mit schmalem, fast krankhaft bleichem Gesicht. Ich begriff damals noch nicht richtig, wie berechtigt seine betonte Ablehnung des auch im Kommunistischen Jugendverband verbreiteten „Latschertums“ war, das die Organisation von den Massen der Arbeiterjugend zu isolieren drohte. Erst später, als ich Konrad in der täglichen Zusammenarbeit kennenlernte, verstand ich, dass gerade seine Feindschaft gegen jede Oberflächlichkeit, Phrasenhaftigkeit und Popularitätshascherei ihn zum Führer des Jugendverbandes befähigte.
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Schwierige Aufgaben
Als Conrad Blenkle im Jahre 1924 zum Vorsitzenden des Kommunistischen Jugendverbandes Deutschlands gewählt wurde, stand der Verband vor schwierigen Aufgaben. Die revolutionäre Welle der Nachkriegsjahre war abgeebbt. Die Großkapitalisten und Militaristen saßen in der Weimarer Republik wieder fest im Sattel. Partei und Jugendverband mussten ihre Politik auf die neuen Bedingungen einstellen. Es war verhältnismäßig leicht gewesen, die Jugend zum Kampf zu begeistern, solange die revolutionäre Welle anstieg, voran zu stürmen, als die Massen nachdrängten und das Ziel greifbar nahe lag.
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Mühselige Kleinarbeit
Aber nun waren wir ein Stück zurückgeworfen worden, mussten in mühseliger Kleinarbeit um jeden einzelnen ringen, den Kleinkampf um ein paar Pfennige Lohn oder Unterstützung führen und durften dabei doch nicht im Reformismus versinken, durften keinen Moment die revolutionäre Perspektive, das Ziel aus den Augen verlieren.
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Wie war Conrad Blenkle?
Kein anderer war so wie Conrad Blenkle geeignet, in dieser Situation den Kommunistischen Jugendverband zu führen. Er besaß das Vertrauen der Mitgliedschaft, weil er an der Seite Ernst Thälmanns konsequent gegen die verräterische Brandlergruppe in der Partei und im Jugendverband gekämpft hatte. Er besaß aber auch den Mut, unangenehme Wahrheiten zu sagen, Illusionen zu zerstören, überholte Arbeitsmethoden aufzugeben und neue Wege zu gehen.
Woran sollte man sich orientieren?
Es gab dabei nur einen zuverlässigen Kompass: Die Theorie des Marxismus-Leninismus. Doch hatten wir damals nicht die großen und vielfältigen Möglichkeiten zur Schulung, die heute der arbeitenden Jugend in der Deutschen Demokratischen Republik geboten werden. Der Kommunistische Jugendverband konnte bei Aufbietung aller Kräfte nur einmal im Jahr einen dreiwöchigen Lehrgang mit höchstens dreißig Teilnehmern durchführen. Im übrigen waren wir auf das Selbststudium angewiesen; doch war es auch damals schon mit der Studiendisziplin nicht immer zum besten bestellt. Manche verließen sich auf ihre Erfahrungen, meinten, es genüge, die „große Linie“ zu kennen.
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Nicht auf die Trotzkisten hereinfallen…
Aber das genügte eben nicht, um in allen Fragen sicherzugehen. Die Feinde der Arbeiterklasse versuchten damals, den Jugendverband gegen die Kommunistische Partei auszuspielen, die sie mit Recht fürchteten. Die Trotzkisten schmeichelten der Jugend, sie sei doch „von Natur aus“ viel radikaler und revolutionärer als die alten „verkalkten“ Parteifunktionäre. Wohl warnte uns unser gesunder Klasseninstinkt – wir fühlten, dass diese Gestalten nichts mit der Arbeiterschaft gemeinsam hatten –, aber das musste man auch jedem Jugendgenossen erklären und die scheinbar so revolutionären „Argumente“ zerfetzen. Dazu genügte es nicht, einige „leicht verständliche“ Broschüren über den Marxismus-Leninismus gelesen zu haben; man musste die Quellen, die Klassiker studieren, musste von Lenin und Stalin, von der Partei der Bolschewiki lernen.
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Wachsam sein gegen Verfälschungen…
Conrad Blenkle gab uns das Beispiel. Er fällte keine Entscheidung, fasste keinen wichtigen Beschluss, ohne sich nicht im Selbststudium gründlich darauf vorbereitet zu haben. Er brachte die Schriften Lenins und Stalins zur Sitzung mit, zitierte daraus, zeigte uns, wie wir die Lehren auf unsere Praxis anzuwenden und wachsam gegen jede Verfälschung der revolutionären Theorie zu kämpfen hätten. Wenn die Parteifeinde im Jugendverband nie nennenswerten Einfluss gewinnen konnten und seine überwältigende Mehrheit immer fest zu dem Thälmannschen Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Deutschlands stand, dann war das neben dem großen Einfluss Ernst Thälmanns vor allem Konrad Blenkle zu verdanken.
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Kritik und Selbstkritik?
Conrad sprach nie großartig über Kritik und Selbstkritik, aber er beachtete sie in seiner täglichen Arbeit. Er nahm nichts unbesehen hin, überprüfte jede Behauptung und forderte von den Verbandsfunktionären konkrete Berichte statt allgemeiner Redensarten. Conrad wollte alles genau wissen und ließ nicht locker: Wo und wie habt ihr das festgestellt, womit könnt ihr es beweisen, welche Unterlagen habt ihr?
Er verlangte vor allem eine kritische Oberprüfung der eigenen Arbeit. ,,Wissen wir überhaupt, wie die Masse der arbeitenden Jugend lebt und denkt, was ihre Interessen, Wünsche, Forderungen sind?“ Wir waren über eine solche Fragestellung empört. Es gab im ganzen Verband nur ein gutes Dutzend hauptamtlicher Funktionäre; die meisten Mitglieder des Zentralkomitees, alle Mitglieder der Bezirksleitungen standen am Schraubstock und an der Drehbank, lebten mitten unter der Arbeiterjugend – und wir sollten nicht wissen, was sie dachte, was sie bewegte? Aber wir mussten uns überzeugen lassen, dass wir es doch nicht genügend wussten. Der Verband hatte fast nur Einfluss auf den verhältnismäßig engen Kreis der politisch fortschrittlichen Jugend und wenig Verbindung zu der großen Mehrheit der Jungarbeiter, die, politisch indifferent, sich allenfalls um ihre wirtschaftlichen Interessen und ihre berufliche Ausbildung oder nur um Sport und Unterhaltung kümmerten.
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In die Betriebe und Gewerkschaften gehen…
Wir mussten unsere Arbeit also mehr in die Betriebe und Gewerkschaften verlegen und dort für die Belange der Jugend eintreten. Und als wir damit erst den Anfang gemacht hatten, zeigte es sich, dass auch diese angeblich „trockene“ Arbeit interessant sein konnte, dass es Spaß machte, den Unternehmern und Spitzeln zum Trotz Flugblätter und Betriebszeitungen in die Betriebe zu bringen, in den Gewerkschaften die opportunistischen Führer matt zu setzen.
Ein echter Berliner…
Nichts wäre irriger, als wenn meine Schilderung den Eindruck hervorriefe, Conrad Blenkle sei ein trockener, pedantischer Musterknabe gewesen. Im Gegenteil, als waschechter Berliner besaß er eine ansehnliche Portion Mutterwitz. Er konnte in einer öffentlichen Auseinandersetzung einen Gegner mit einem einzigen, trocken hingeworfenen Satz lächerlich machen.
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Mit Spaß und Humor
Ein Jugendfunktionär muss mit der Jugend lachen können; er darf sich auch zu ihren Vergnügungen nicht überheblich verhalten. Was nutzten die besten und längsten hochpolitischen Referate, wenn in unsere Versammlungen nur ein kleiner Teil der Jugend kam? Aber Zehntausende gingen zum „Schwof“ oder vergnügten sich auf den Rummelplätzen. Also mussten wir an diese Formen der Unterhaltung anknüpfen, mussten ihnen einen politischen Inhalt geben. Konrad schlug vor: Machen wir einen „Roten Rummel“, eine lustige politisch-satirische Veranstaltung. Schon der Name rief den Protest aller „Hochpolitischen“ hervor. Aber Conrad verstand es, uns für seine Idee zu begeistern.
Gemeinsam arbeiteten wir das Programm der ersten Veranstaltung aus, in dessen Mittelpunkt eine grimmige Verhöhnung der militaristischen Erziehung der Jugend im „Freiwilligen Arbeitsdienst“ der Weimarer Republik stand. Konrad steuerte die zündendsten politischen Witze bei, feilte an dem Text, dessen Knüttelverse Rudi Schwarz, der Redakteur der „Jungen Garde“, gedichtet hatte. Conrad begutachtete die Proben und freute sich mit uns über den Bombenerfolg und die überfüllten Säle. Der „Rote Rummel“ wurde Ausgangspunkt zahlreicher Spieltrupps der Partei und des Jugendverbandes. Wir hatten eine Arbeitsmethode des Komsomols, die „Blauen Blusen“, nicht schematisch übernommen, sondern richtig ins Deutsche, in diesem Fall sogar ins Berlinische übersetzt.
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Kameradschaftlich und geduldig
Konrad war ein prächtiger Kamerad. So unerbittlich er gegen Oberflächlichkeit und Schlamperei war, so kameradschaftlich und geduldig half er den Jugendfunktionären, falsche Ansichten und Schwächen zu korrigieren. Er pochte nie auf seine Autorität, ließ die begründete Meinung anderer gelten, scheute sich nicht, auch einen eigenen Irrtum unumwunden zuzugeben – und eben deshalb war seine Autorität so groß und unbestritten.
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In Dänemark von der Gestapo verhaftet
In der Zeit der faschistischen Diktatur arbeitete Conrad Blenkle illegal in Deutschland und im Ausland. 1940 wurde er in Dänemark von der Gestapo verhaftet. Drei Jahre lang quälten und folterten ihn die faschistischen Henker, ehe sie im Jahre 1943 das Todesurteil vollstreckten.
,,Ich muss von Dir scheiden, lebe wohl! Ich habe den letzten Nachmittag verlebt und gehe dem Ende ruhig entgegen. Als Kämpfer habe ich gelebt und werde als Kämpfer sterben. Du bist der Mensch, der mir am nächsten steht. Deine Liebe und Verehrung waren für mich das Wertvollste. Wenn ich mein Leben rückschauend betrachte und Bilanz ziehe, so kann ich im großen und ganzen zufrieden sein. Aber auch ich war ein Mensch mit Schwächen und Fehlern. Trotzdem weiß ich, dass mein Leben wertvoll war und ich Nützliches geleistet habe. Handle immer verantwortungsbewusst, arbeite unablässig an Deiner Vervollkommnung, schone Dich nie, wenn es um Großes geht und Du Dich einsetzen musst…“
Mit diesem Brief, den Konrad Blenkle angesichts des Todes am Tage der Hinrichtung an seine Tochter geschrieben hat, hat er sich das schönste Denkmal gesetzt.
…………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………….. Robert Leibbrand“
Quelle: Deutschlands Junge Garde. 50 Jahre Arbeiterjugendbewegung. Verlag Neues Leben 1954, S.277-281. (Zwischenüberschriften eingefügt, Sascha)
Erstveröffentlichung am 5. Februar 2018, Sascha‘s Welt
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Anhang
Aus dem Buch: „Sein letzter Tag: Die letzten Stunden von Conrad Blenkle“
Conrad Blenkle an sein Kind: „Ich muss von Dir scheiden, lebe wohl! Ich habe den letzten Nachmittag verlebt und gehe dem Ende ruhig entgegen. Als Kämpfer habe ich gelebt und werde als Kämpfer sterben. Für eine Idee eintreten zu können, ist eine große, ehrenvolle Sache. Das gibt mir Kraft bis zum letzten. Du bist der Mensch, der mir am nächsten steht. Deine Liebe und Verehrung waren für mich das Wertvollste. Wenn ich mein Leben rückschauend betrachte und Bilanz ziehe, so kann ich im großen und ganzen zufrieden sein. Aber auch ich war ein Mensch mit Schwächen und Fehlern. Trotz alledem weiß ich, dass mein Leben wertvoll war und ich Nützliches geleistet habe. Meine letzte Mahnung an Dich ist: Handle immer verantwortungsbewusst, arbeite unablässig an Deiner Vervollkommnung, schone Dich nie, wenn es um Großes geht und Du Dich einsetzen musst! Lebe wohl und denke immer an Deinen Dich innig liebenden Vater.“Heinz Kruschel: „Sein letzter Tag: Die letzten Stunden von Conrad Blenkle“, EDITION digital, 2014, 62 Seiten, ASIN: B00WY35XE4
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