Susan Bonath

Konstruierte Beweise

Müllskandal: Gericht verschiebt Urteil gegen Landrat. Verteidigung hält Richter für befangen und Kronzeugen für unglaubwürdig.
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Susan Bonath

Fäden, die bis in die Landesministerien reichen, ein mehrfach vorbestrafter Kronzeuge, heimliche Nachermittlungen: Ein Urteil im Magdeburger Müllskandal-Prozess gegen den Jerichower Ex-Landrat Lothar Finzelberg ist in weite Ferne gerückt. Obwohl die Plädoyes schon gehalten waren, begann sie am gestrigen Donnerstag mit der Aufnahme neuer Beweise, um die Glaubwürdigkeit des Kronzeugen zu überprüfen. Die Anklage basiert fast ausschließlich auf dessen Aussagen.

Die Verteidigung fühlte sich übergangen. Sie beantragte, Richter Gerhard Köneke für befangen zu erklären. Er habe ohne ihr Wissen nachermitteln lassen. Der Angeklagte hätte aber das Recht erhalten müssen, Stellung zu nehmen. »Offenbar ist der Richter nicht neutral«, so die Anwälte.

Lothar Finzelberg im Landgericht Magdeburg (6. April)
Foto: Peter Gercke/dpa-Zentralbild/dpa

Zudem hätten sie weitere Erkenntnisse, die auf politische Motive der Strafverfolgung hindeuteten. Bevor der Landrat 2014 aus dem Amt geflogen war, habe das Landeskriminalamt (LKA) Sachsen-Anhalt Kreisräte aus dem Jerichower Land zu sich zitiert und sie aufgefordert, Finzelbergs Suspendierung schnell durchzusetzen. »Das war ein Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung«, sagten die Verteidiger. Deutlich werde: »Herr Finzelberg soll als Bauernopfer herhalten«. Das Versagen hoher Landespolitiker kehre man derweil unter den Tisch.

Herausfinden wollte das Gericht am Donnerstag: Gibt es auf dem Grundstück Finzelbergs einen Hochsitz? Auf diesem soll er vom Kronzeugen Uwe S. persönlich bis zu 250.000 Euro Schmiergeld angenommen haben. Im Gegenzug habe er illegale Verkippungen von rund 1,3 Millionen Tonnen Haus- und Giftmüll in zwei Tongruben gedeckt. Der LKA-Zeuge Peter M. zeigte Fotos. Einen Hochsitz war darauf aber nicht zu sehen, nur ein winziges Kinderspielhaus. Es gab Probleme mit den Daten und der Zuordnung. Gesehen hatte Finzelberg in diesem Häuschen jedenfalls keiner – außer der Kronzeuge Uwe S. Den kritisiert der Angeklagte seit Prozessbeginn im Oktober 2015 als unglaubwürdig.

Der Unternehmer Uwe S. hat eine schwerkriminelle Vergangenheit. Unter anderem wegen Brandstiftung und Subventionsbetrugs in Millionenhöhe sollte viele Jahre ins Gefängnis. Dank seines Status als Kronzeuge musste er schließlich nur dreieinhalb Jahre ins Gefängnis – dies unter massiv erleichterten Bedingungen. S. war Gesellschafter der Müllfirma. Ihm gehörten Autohäuser und ein Hotel. »Wir haben ihm etliche Falschaussagen nachgewiesen«, sagte Finzelberg im im Gespräch mit jW. Auch einen Hochsitz habe es nie bei ihm gegeben, sondern nur das Spielhaus.

Finzelberg bestreitet, Schmiergeld angenommen zu haben. »Es ist abstrus: Erst soll ich Genehmigungen besorgt haben, und als feststand, dass ich das gar nicht konnte, hätte ich angeblich den Grubenbetreiber beeinflusst.« Klar ist: Es gab Genehmigungen, die nach dem »Tongrubenurteil« von 2005 rechtswidrig waren. Die stammten allerdings vom Landesbergamt, das dem Wirtschaftsministerium unterstand, damals regiert vom heutigen sachsen-anhaltischen Ministerpräsidenten Reiner Haseloff (CDU). Wie gegen weitere hohe Beamte, darunter ein Staatssekretär und ein Polizeidirektor, wurde zwar gegen Haseloff kurzzeitig ermittelt, dies aber bald wieder eingestellt. Für Finzelberg steht fest: »Es war das Land, das jahrelang in ganz Sachsen-Anhalt rechtswidrige Verkippungen von Müll duldete.« Die Beweise gegen ihn seien konstruiert, sagte er.

Von Anfang gab es viele Merkwürdigkeiten bei den Ermittlungen. So hatte etwa 2011 ein Geschäftspartner der Entsorgungsfirma namens Stefan E. den Behörden eine Aussage zum Nachteil Finzelbergs gegen Geld angeboten. Wie sich später herausstellte, war das Justizministerium sogar zur Zahlung von 100.000 Euro bereit. E. reichte das nicht, er verlangte eine Million Euro. »Dann blieb man doch beim Kronzeugen Uwe S.«, blickte der Ex-Landrat zurück.

Finzelberg steht seit über sieben Jahren im Kreuzfeuer. Ein zweiter Prozess wegen Verdachts der uneidlichen Falschaussage ist noch nicht abgeschlossen. Das Oberlandesgericht hatte das Urteil der Vorinstanz – neun Monate Bewährung – aufgehoben. Das Landgericht muss neu verhandeln. Im aktuellen Indizienprozess drohen Finzelberg mehrere Jahre Haft. Er fühlt sich gejagt, von der Justiz und den Medien. Finzelberg selbst habe sich vor dem Auffliegen des Müllskandals vor neun Jahren an die Landesregierung gewandt und um Kontrollen gebeten, beteuerte er. »Ich habe wohl zu viel gefordert und gemahnt – das hat manchem nicht gepasst.« Finzelberg ist überzeugt: »Man wollte mich wohl weg haben.«

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Erstveröffentlichung: Junge Welt, 28.04.2017. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Autorin
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